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Zur Frage der Reparationsforderungen aus Polen – MANUEL SARRAZIN

Zur Frage der Reparationsforderungen aus Polen

Seit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen im Jahr 2015 wurde aus den Reihen der PiS gezielt das Thema von Kriegsreparationen gegenüber Deutschland als innenpolitisches und parlamentarisches Thema aufgebaut. Vor dem Hintergrund einer sanft ablehnenden Reaktion aus Deutschland, die aus Berlin durchaus Gesprächsbereitschaft über symbolische Zeichen der Wiedergutmachung brachte, und bedingt durch die taktische Aufstellung der PiS in den Wahljahren 2019/2020 wurde das Thema in Warschau zuletzt auf kleinerer Flamme am Köcheln gehalten. Der nach den Wahlen gestiegene Einfluss einzelner Flügel innerhalb der PiS und eine allgemeine Enttäuschung in Warschau über die konkreten Ergebnisse der deutsch-polnischen Zusammenarbeit könnten allerdings dazu führen, dass das Thema von polnischer Seite nach den Präsidentschaftswahlen auch auf Regierungsebene gehoben wird.

Für die deutsche Seite besteht in der Reparationsdebatte gegenüber Polen ein grundsätzliches Problem im Unterschied zu anderen Partnern wie bspw. Griechenland: Polen hat zwar juristisch eindeutig auf eigene Ansprüche auf zwischenstaatliche Reparationszahlungen verzichtet[1], doch die moralische Schuld ist vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in Polen überwältigend und selbst im Vergleich zum Wüten der Nazis in Griechenland in wichtigen Aspekten (z.B. Massaker von Wola) nicht ausreichend prominent behandelt. Das machte die brüske Ablehnung der aus Polen vorgetragenen Reparationsforderungen in der Vergangenheit zwar juristisch formal korrekt, aber moralisch und politisch nicht vertretbar. Deutschland kann die Debatte nicht für beendet erklären, wenn sie es für unsere polnischen Partner und Freunde, als erste Opfer des deutschen Angriffskrieges, noch nicht ist.

Gleichzeitig hat sich die Debatte in Polen mit dem Regierungsantritt der PiS verändert. Warschau versuchte nach griechischem Vorbild über ein parlamentarisches Verfahren das Thema in der Bevölkerung zu popularisieren, um bestimmte Kreise der eigenen Wählerschaft zu mobilisieren bzw. zu einem geeigneten Zeitpunkt mobilisieren zu können. Zwar hat die polnische Regierung das Thema mehrfach in Pressestatements und Interviews in seiner Bedeutung unterstrichen – z.B. durch Premierminister Morawiecki und Außenminister Czaputowicz. Dennoch blieb eine offensive juristische  Behandlung des Themas im Rahmen der Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesregierung aus. Auch zwischen Vertreterinnen des Bundestags und des Sejm gab es einige Gespräche zu dem Thema. Die Position der Bundesregierung ist, dass man darauf wartet, was aus Warschau kommt. Warschau hingegen schreckte bisher vor einem Abschluss oder gar einer Übermittlung des im Rahmen der Arbeitsgruppe unter Leitung des Abgeordneten Mularczyk angeblich fertig ausgearbeiteten Berichts zurück.

Gleichzeitig wurden in den  vergangenen Jahren Gedankenspiele ventiliert, die einen neuen Zungenschlag in dieser Debatte in Berlin augenscheinlich machen. Aus Berliner Kreisen wurden wiederholt die Bereitschaft und Ideen für symbolische Schritte Berlins hörbar, die als eine Art moralischer Ersatz für eine juristische Bewegung beim Thema Reparationen gewertet werden können. Gleichzeitig wurde die Idee erörtert, das Thema nicht weiter totzuschweigen, sondern zunächst einen bilateralen Dialog auf parlamentarischer Ebene zu initiieren, der gleichsam den gegenseitigen Spielraum für wirksame symbolische Schritte definieren könnte, ohne dabei in die Falle von unlösbaren Regierungsverhandlungen über juristische Forderungen einzutreten.

In Polen wiederum ist das Vorgehen Deutschlands in dieser Frage durchaus umstritten. Da Geschichtspolitik in Polen traditionell ein Hauptkampffeld der Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Opposition ist und der erneute ausdrückliche Verzicht auf Reparationsansprüche im Jahr 2004 durch die Regierung Tusk gegen den Willen des Sejm durchgeführt wurde, hat die Opposition kein Interesse an einer aufgebauschten Reparationsdebatte, aber ebenso wenig an einer maßgeblichen Veränderung der deutschen Position, die als Erfolg einer angeblichen harten Positionierung der PiS gelten könnte.

In Deutschland wird öffentlich inzwischen die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung zum Thema Reparationen zurecht immer mehr in Frage gestellt. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Debatte über die Bezeichnung des Völkermords an den Armeniern als solchen und des Versprechens der Bundesregierung, eine Einigung in Bezug auf den Konflikt mit den Herero und Nama in Namibia zu finden, zeigt sich immer mehr, dass die grundsätzliche Weigerung der Bundesregierung, Völkermorde auch völkerrechtlich als solche anzuerkennen und grundsätzlich eine brüske Ablehnung auf Reparationsdebatten in den Opfergesellschaften an den Tag zu legen, die Aussöhnungsarbeit grundlegend behindert. Zudem wird in der Rechtswissenschaft vor dem Hintergrund entsprechender orbita dicta des IGH mehr und mehr die deutsche Rechtsposition, dass alle zwischenstaatlichen Reparationen mit den Regelungen des Londoner Schuldenabkommens und darauf aufbauend mit der endgültigen Nachkriegsregelung im Zuge des 2+4-Vertrags ausgeschlossen seien, angezweifelt. Die Bundesregierung bleibt umso mehr bei ihrer Position, als sie bei einer Aufweichung eine Verschlechterung ihrer Rechtsposition in anhängigen Verfahren in den USA befürchtet.

Zu dieser Ausgangslage kommt hinzu, dass eine juristische oder finanzielle politische Regelung der Reparationsfragen sowohl bilateral als auch multilateral kaum in einem finanziell dem Schaden und dem Ausmaß der Verbrechen angemessenen Maße vorstellbar ist, weil sie letztlich selbst für Deutschland wirtschaftlich und finanziell unmöglich leistbar und vor dem Hintergrund der Bedeutung des deutschen Staatshaushalts für die europäische Wirtschaft für Europa nicht verkraftbar wäre.

Das heißt: Eine juristische Feststellung über das Nichtzutreffen der deutschen Rechtsposition in Bezug auf das Londoner Schuldenabkommen und die sich daraus entwickelnden Rechtsfolgen für die Partner, bei denen keine unilateralen Verzichtserklärungen wie im Fall Polens vorliegen, wäre zwar wünschenswert. Anderseits ist aber klar, dass diese Feststellung juristisch zu keiner Zahlungsverpflichtung Deutschland führen kann, die den deutschen Staat in einem Maße ruinieren würde, wie es nach dem Krieg bewusst von den Siegermächten verworfen wurde (Morgenthau-Doktrin). Provokant gesagt: Entschieden sich die Siegermächte nach dem Krieg bewusst für einen Umgang mit Deutschland, der wirtschaftlichen Aufbau ermöglichen sollte, kann eine nachholende Regelung der Reparationsfrage wohl kaum diese Entscheidung zu verändern versuchen.

Darüber hinaus ist eine juristisch saubere und moralisch nachvollziehbare Berechnung der tatsächlichen Entschädigungsleistung mit Zins und Zinseszins mehr als zweifelhaft. Auch die Zahlen des griechischen Parlaments und die bisher öffentlich aus Polen vernehmbaren Summen – mit Ausnahme der Berechnung in Bezug auf die so genannte Zwangsanleihe – werfen Fragen in Bezug auf die Methodik der Schadensberechnung und letztlich die, gemessen an den Gräueltäten immer noch relativ geringen, Summen auf. Sie scheinen zu niedrig. Auch deswegen entschied sich die deutsche Politik in der Vergangenheit dazu, symbolische Projekte der Aussöhnung mit individuellen Zahlungen zu verbinden, die zum Teil auch außerhalb des klassischen Maßnahmen des Lastenausgleichs (Ghetto-Renten etc.) fallen, so z.B. im Falle der jüdischen Gemeinde Thessaloniki und des sichtbaren Zeichens in Leningrad. Dieser Weg wird für die Zukunft weiterhin ein Königsweg sein. Die deutsche Seite muss dabei aber akzeptieren, dass er nicht geeignet ist, um den Opfergesellschaften einen schleichenden Verzicht auf juristische Ansprüche abzuverhandeln.

Die Debatte um einen Gedenkort für die Opfer Polens in Krieg und Besatzung zwischen 1939-45 ist von der Reparationsdebatte strikt zu trennen. Es geht um eine Initiative aus der deutschen Zivilgesellschaft, die das Bewusstsein in Deutschland für die deutschen Taten steigern, ein Zeichen nach Polen senden und den bilateralen und europäischen Diskurs über die Geschichte anregen will, und nicht einen Diskurs um einen etwaigen Ersatz für Reparationsforderungen.

Im Falle Polens ergibt sich aus dieser Gesamtschau ein spezifisches Bild. Da juristische Ansprüche Polens kaum tragbar scheinen, ergibt sich für Deutschland in Bezug auf Polen tatsächlich ein größerer Spielraum sowohl mit Blick auf die in den USA anhängigen Verfahren, als auch auf eine Aufweichung der eigenen Rechtsposition vor dem IGH.

Tatsächlich ist es ein Versagen der deutschen Politik, auf den unilateralen Verzicht Polens im Jahr 2004 nicht in angemessener Weise geantwortet zu haben, wie dieses bspw. in Bezug auf die polnischen Auslandsschulden bei der Gründung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit erfolgte. Klar ist weiterhin, dass jede Bewegung Deutschlands natürlich nicht zu einer erneuten Verzichtserklärung Polens führen würde. Vor dem Hintergrund des bis vor Kurzem ziemlich ignoranten Umgang Deutschlands mit der Reparationsdebatte in Polen hat sich schließlich gezeigt, dass der Verzicht auf juristische und finanzielle Ansprüche zwar in Deutschland gerne gesehen, aber folgenlos mitgenommen wird, während er keineswegs in der Lage war, das Thema in der innenpolitischen polnischen  Debatte zu beenden. Für die deutsche Politik muss es deswegen darum gehen, der Debatte um Reparationen mit Empathie und Entgegenkommen zu begegnen, die der Polarisierung den ideologischen Boden nimmt. Deutschland muss klar machen, dass es seine Hausaufgaben zu machen bereit ist. Anders gesagt: So wie Willy Brandts Kniefall das Ende des Bildes eines revisionistischen Deutschen langsam einleitete, muss jetzt darum gehen, die geschichtspolitische Empathie und Kommunikationsfähigkeit Deutschlands in die Opfergesellschaften beim Thema Reparationen zu verbessern. Das gilt übrigens erst recht vor dem Hintergrund, dass uns die Zeitzeugen verlassen.

Die bisher abwartende Haltung des Bundesregierung sollte deswegen durch eigene Vorschläge ergänzt werden, wie mit der deutschen Schuld in Polen moralisch und finanziell umgegangen werden kann, ohne dass dieses aus deutscher Sicht zu offiziellen Verhandlungen auf Regierungsebene über Reparationszahlungen führt und beide Positionen ihre Rechtspositionen wahren können. Dabei zeigen gerade die Gedenkveranstaltungen der Jahre 2019 und 2020 und die beeindruckende Rede des Auschwitz-Überlebenden Turski, wie vordringlich eine solche Initiative heute ist. Zum wohl letzten Zeitpunkt an dem eine humanitäre Geste für die bisher vergessenen Opfer der deutschen Verbrechen diese noch erreichen oder zumindest der Wille zu dieser wahrgenommen werden kann. Aus der abwartenden Haltung sollte deswegen eine pragmatische Haltung – nicht nur – aber zuerst in Bezug auf die noch lebenden Opfer werden. Nach den sehr positiv aufgenommenen Ansprachen von Bundespräsident Steinmeier, Kanzlerin Merkel und Außenminister Maas im Rahmen ihrer Besuche zu Gedenkveranstaltungen im Gedenkjahr 2019, sollte im Jahr 2020 nicht der Eindruck aufkommen können, dass aus den Worten keine weiteren Initiativen Deutschlands folgen.  

Dazu könnten einige bisher nur im Hintergrund diskutierte Vorschläge um weitere Elemente ergänzt werden.

  1. Deutschland sollte im Rahmen einer humanitären Geste einen Fonds aufsetzen, aus dem medizinische Kosten für noch lebende Opfer von Krieg und Besatzung übernommen werden können bzw. der ggf. die Organisation medizinischer Versorgung unterstützen kann.
  2. Über die bisher im Rahmen von Lastenausgleich oder anderem berücksichtigten Opfergruppen in Polen hinaus, gibt es weiterhin kaum berücksichtigte blinde Flecken deutscher Schuld während Krieg und Besatzung in Polen: Bspw. die Opfer der so genannten Partisanen- und Geiselerschießungen, aber auch die Todeslisten des Reichssicherheitshauptamts aus den ersten Kriegswochen und die Opfer des so genannten Volksdeutschen Widerstands. Aus einem Fonds sollten daher auch als Geste des guten Willens Entschädigungen an Opfer oder deren Kinder ausgezahlt werden, die bei den bisher durchgeführten Entschädigungen und Lastenausgleichen nicht berücksichtigt worden sind. Die Initiative soll dabei nicht allein auf Antrag der Betroffenen erfolgen, sondern – sofern möglich – auch als Teil einer proaktiven Aufarbeitung von bisher nicht dokumentierten oder von der Aktenlage geleugneten Verbrechen erfolgen können. Bisher bleibt davon auszugehen, dass immer noch zahlreiche Morde an Bürgerinnen und Bürgern Polens als so genannte Partisanenerschießungen nach Aktenlage als legal qualifiziert sind und deswegen die Opfer im juristischen Sinne nicht anspruchsberechtigt gewesen sind.
  3. Die deutsche Kriegs- und Besatzungspolitik folgte nicht nur dem Ziel der Ermordung und Versklavung der Menschen in Polen. Ihr Ziel war auch die polnische Kultur zu zerstören und zu vernichten. Bis heute leidet das Land unter den Folgen des Krieges auch in kultureller Hinsicht. Der Krieg hat wichtige Teile des Kulturerbes zerstört und Polen ganze Generationen von Talent genommen. Der deutsche Zerstörungswille an der polnischen Kultur und an Polen als wichtiger Teil der Zivilisation ist bisher in den deutschen Betrachtungen oftmals unterbelichtet. Deutschland sollte deswegen einen geeigneten Rahmen schaffen, um – ähnlich dem Norwegian Trust – dauerhaft und unabhängig die polnische Kultur und Zivilgesellschaft in Deutschland, Polen und Europa ideell und finanziell zu unterstützen.
  4. Darüber hinaus sollten Kommunen, in denen Kriegsverbrechen stattfanden, die Möglichkeit erhalten, in Form zivilgesellschaftlicher bilateraler Projekte z.B. durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit eine symbolische Entschädigung zu bekommen.
  5. Vor dem Hintergrund der Recherche und Dokumentation verschiedener polnischer und deutscher Institutionen von Einzelschicksalen in Polen während des 2. Weltkrieges, sollten Deutschland und Polen vereinbaren, soweit wie möglich alle bisher nicht rehabilitierten illegal ermordeten und verletzten Menschen aus der deutschen Kriegsführung und Besatzung zu recherchieren, dokumentieren und öffentlich zugänglich zu machen. Zudem sollte sich die Bundesregierung dazu verpflichten, vor deutschen Gerichten zu jedem dieser Fälle eine Rehabilitierung und Verurteilung der Tat bzw. ggf. der Täter posthum zu erreichen, wie bspw. im Falle der Verteidiger der Danziger Post in den 90er-Jahren geschehen.
  6. Eine finanzielle Bereitschaft Deutschlands, in wesentlichem Umfang zu einem großen Kulturprojekt in Polen beizutragen, ist grundsätzlich ein richtiger und wichtiger Schritt, um eine finanziell relevante Größenordnung in die Debatte zu bringen und gleichzeitig ein sichtbares Zeichen zu entwickeln. Inwieweit sich die Debatte über einen Wiederaufbau des sächsischen Palais in Warschau dazu eignet, hängt allerdings von innenpolitischen Debatten in Polen und stadtplanerischen Erwägungen in Warschau ab. Deswegen ist es für einen konkreten Vorschlag in Richtung eines Projektes zu früh. Die Bundesregierung könnte aber erste finanzielle und konzeptionelle Überlegungen beginnen, wie solche Projekte konkret gestaltet werden könnten und inwieweit sich hier ein deutsch-polnisches Projekt eignet, einen Vorbildcharakter auch für andere bilaterale Situationen zu haben.

Download:

Den Volltext als PDF gibt es hier.

Der Gastbeitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 14.06.2020 steht in einer deutschen und polnischen Version zur Verfügung.


[1] Verzichtserklärung von 1953/54 in Verbindung mit der Anerkennung dieser Verzichtserklärung durch die polnische Regierung 2004.

Aktuelle Berichterstattung zum Thema:

ZDF Morgenmagazin, 16.6.20 https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/reparationszahlungen-gemeinsam-wege-finden-100.html

Süddeutsche Zeitung, 15.06.20 https://www.sueddeutsche.de/politik/reparationszahlungen-deutsch-polnische-beziehungen-zweiter-weltkrieg-1.4935666

Rzeczpospolita, 14.06.20 https://www.rp.pl/Publicystyka/200619720-Manuel-Sarrazin-W-kwestii-zadan-reparacyjnych.html

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