Erschienen als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau am 30.01.2016. Wer die PiS-Regierung in Polen konstruktiv begleiten will, sollte auf Besserwisserei verzichten.
Ein Gastbeitrag von den Politikern Dietmar Nietan und Manuel Sarrazin.
Unter Freunden sagt man sich die Wahrheit, selbst wenn es schmerzt. Was spricht also dagegen, wenn Deutschland – enttäuscht von der ideologisch motivierten Politik der neuen polnischen PiS-Regierung – klare Worte für eine Politik findet, die auf eine Spaltung der polnischen Gesellschaft hinausläuft und dabei Hand anlegt an wichtigen Stellschrauben des Rechtsstaates?
Aus unserer Sicht spricht nichts gegen klare Worte unter befreundeten Staaten, wenn sie nicht von Empörung, sondern vor allem dem ernsthaften Bemühen getragen sind, den anderen zu verstehen. Eine solche Grundhaltung fehlt derzeit jedoch so manchem Kritiker. Es ist oft nicht der Inhalt, sondern der Unterton, der viele Polen bei Kritik aus Deutschland unangenehm berührt.
Dies beginnt schon bei der Bewertung des Wahlergebnisses: Wie konnte man angesichts der Erfolgsbilanz der EU-Mitgliedschaft und des wirtschaftlichen Erfolgs eine Partei wählen, die den liberalen Werten Europas so kritisch gegenübersteht? Bei den von Medien und Politik in Deutschland gestellten Fragen schwang oft Unverständnis und Oberflächlichkeit mit.
Die Mehrheit der Polen ist nicht antieuropäisch oder antideutsch, sondern hat enttäuscht eine Regierung abgewählt, die viele gesellschaftliche, soziale und ökonomische Fragen ignoriert hat. Themen wie Armut oder schlechte Löhne wurden in der Vergangenheit meist nur von der PiS konsequent aufgegriffen.
Dass Polen bei den Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine nicht mit am Tisch sitzt, schmerzt auch viele in Polen, die keine PiS-Wähler sind. Viele Polen wünschen eine größere Präsenz der Nato in ihrem Land. Und viele fragen sich, ob beim Pipelineprojekt North Stream II die gleiche Nichtbeachtung Polens droht wie damals in den Planungen der ersten Northstream-Pipeline unter Gerhard Schröder. Diese Punkte haben auch die Vorgängerregierung besorgt. Mancher Kommentar aus Deutschland erweckt nun aber den Eindruck, als sei das polnische Unbehagen ein neues Phänomen.
Wir wollen nicht missverstanden werden: Auch unsensible Äußerungen von deutscher Seite rechtfertigen keine antideutschen Ausfälle mancher Teile der Medien und Politik in Polen. Aber mehr Verständnis für die Sicht Polens auf die Geschichte und die daraus resultierende Einschätzung von Sicherheitsfragen ist gerade jetzt angebracht. „Wir haben Euch verstanden und sind bereit mit Euch darüber intensiver als bisher zu reden“ -– dies wäre die bessere Reaktion.
Öffentliche Belehrungen durch deutsche Politiker machen es der PiS leichter, sich einem kritischen Dialog zu entziehen. Selbst sachlich angebrachte Kritik wird in der innenpolitischen Debatte in Polen leicht entwertet, wenn sie in einem Ton vorgebracht wird, der die Errungenschaften der deutsch-polnischen Freundschaft und des EU-Beitrittsprozesses Polens in Frage stellt. Die PiS wehrt Kritik an der neuen Gesetzgebung ab, in dem sie sie als Angriff von außen gegen die polnischen Interessen deklariert und oft auch in Zusammenhang mit den deutschen Verbrechen in und an Polen im 20. Jahrhundert setzt. Die deutschen Akteure müssen einsehen, dass sie einer Polarisierung von Politik, Medien und Gesellschaft in Polen – mit all ihren Gefahren für die Stabilität der EU – nicht mit schrillen Tönen oder Putin-Vergleichen erfolgreich entgegentreten können.
Es hilft nicht der empörter Widerspruch, sondern die Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Die deutsche Seite könnte mehr Interesse an der gemeinsamen Geschichte zeigen als bisher in Warschau wahrgenommen. Dabei sollte das 25-jährige Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags im Juni besonders aufgegriffen und die gemeinsame Geschichte der friedlichen Revolutionen Zentraleuropas und ihre Bedeutung für Deutschlands Wiedervereinigung mehr als bisher beachtet werden.
Deutschland sollte die polnische Rolle in der weiteren Entwicklung der EU-Ostpolitik unabhängig von Regierungsmehrheiten in Warschau stärken. Dazu gehört auch ein intensiverer sicherheitspolitischer Dialog, welcher ausdrücklich auch die Frage einer kohärenten Politik gegenüber Russland beinhaltet. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass Berlin immer näher an Warschau stehen wird als an der Seite Moskaus. Wir können es uns nicht leisten, dass die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zum deutsch-polnischen Streitthema wird.
Anstatt dem Partner Polen mit Liebesentzug zu drohen, sollten wir die polnische Regierung in kritische Dialoge verwickeln. Die polnische Regierung muss erkennen, dass ein radikaler Bruch mit der Entwicklung des Landes seit 1989 nicht zu einer stärkeren polnischen Nation, sondern einer Destabilisierung des politischen Systems und damit zu einer Minderung des polnischen Einflusses in EU und Nato führen wird.
Will sie die polnischen Anliegen durchsetzen, wird jeder andere Weg als der der konstruktiven Auseinandersetzung im Rahmen der Institutionen am Ende erfolglos sein. Dass wir Deutsche einen solchen konstruktiven Dialog auch mit einer PiS-Regierung führen und dabei auch deren Argumente kritisch hinterfragen wollen, wäre genau das Signal, welches Jaroslaw Kaczynski viel mehr in Bedrängnis bringen würde, als so manche Besserwisserei.
Dietmar Nietan ist Schatzmeister der SPD und Mitglied des Bundestages.
Manuel Sarrazin ist europapolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Beide Autoren sind stellvertretende Vorsitzende der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe.