Britta Haßelmann
Mitglied des Deutschen BundestagesErste Parlamentarische Geschäftsführerin der
Bundestagfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Manuel Sarrazin
Mitglied des Deutschen Bundestages
Sprecher für Europapolitik
Bundestagfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sven-Christian Kindler
Mitglied des Deutschen Bundestages
Sprecher für Haushaltspolitik
Bundestagfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Gerhard Schick
Mitglied des Deutschen Bundestages
Sprecher für Finanzpolitik
Bundestagfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
An den Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben
Herr Peter Altmaier
An den Bundesminister der Finanzen
Herrn Dr. Wolfgang Schäuble
– per Postaustausch –
Berlin, 04. Juni 2015
Sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,
sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Schäuble,
am Montag, den 1. Juni 2015, fand laut Medienberichten im Bundeskanzleramt ein Treffen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, dem französischen Staatspräsidenten François Hollande, dem EZB-Präsidenten Mario Draghi, der IWF-Direktorin Christine Lagarde und dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker statt, um über die weitere Strategie bezüglich Griechenland zu verhandeln. Laut einem Artikel der Financial Times vom selben Tag („Greek bailout monitors hold emergency summit“) soll dieses Treffen auf Grundlage eines non-papers der EU-Kommission stattgefunden haben.
Am gestrigen Mittwoch wurden die Verhandlungen über das weitere Vorgehen zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras, dem EUKommissionspräsidenten Juncker und dem Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem fortgesetzt. Laut etlichen Medienberichten haben diese Verhandlungen zum einen auf Grundlage eines von den Gläubiger-Institutionen konsentierten Positionspapiers und zum anderen auf Grundlage eines neuen Vorschlags der griechischen Regierung über weitere Reformmaßnahmen stattgefunden. Zudem soll die Eurogruppen-Arbeitsgruppe heute im Rahmen einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen beraten.
Während die Presse offensichtlich bestens informiert ist, wurde dem Deutschen Bundestag von Seiten des Bundeskanzleramts und des Bundesfinanzministeriums bisher die Übersendung der entsprechenden Dokumente und jegliche ergänzende Unterrichtung verweigert. Am Dienstag, den 2. Juni 2015, hat unsere Fraktion über die Bundestagsverwaltung das in der Presse erwähnte non-paper der EU-Kommission angefordert und über den EU-Ausschuss, den Haushaltsausschuss und den Finanzausschuss eine telefonische Unterrichtung seitens des Bundeskanzleramtes bzw. des Bundesfinanzministeriums über den aktuellen Verhandlungsstand verlangt. Am Mittwoch, den 3. Juni 2015, hat unsere Fraktion über die Bundestagsverwaltung die Papiere über die Position der Gläubiger-Institutionen und die Position der griechischen Regierung anfordern lassen.
Bis dato wurde weder der Forderung nach telefonischer Unterrichtung nachgekommen noch wurden die entsprechenden Dokumente übermittelt. Der Antwort des Bundeskanzleramtes vom 3. Juni 2015 war lediglich zu entnehmen, dass den Gesprächen, die zwischen der Bundeskanzlerin, dem französischen Staatspräsidenten und den Vertretern der drei Institutionen im Bundeskanzleramt stattgefunden haben, kein Dokument zugrunde gelegen habe. Zudem seien die Papiere, über die die Presse spekuliere, Grundlage der zwischen Griechenland und den drei Institutionen geführten Gespräche. Das Bundesministerium der Finanzen würde den Deutschen Bundestag außerdem regelmäßig gemäß StabMechG unterrichten. Als Ergebnis bleibt jedoch festzuhalten, dass die Bundesregierung bis dato den Bundestag weder umfassend, noch zum frühestmöglichen Zeitpunkt, noch fortlaufend, noch schriftlich oder mündlich über die Entwicklungen der letzten Tage unterrichtet hat.
Die Bundesregierung missachtet mit dieser Verweigerungshaltung die Parlamentsrechte des Deutschen Bundestages und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im § 5 Absatz 1 des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG) ist festgeschrieben, dass die Bundesregierung den Deutschen Bundestag umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten hat. Ferner hält § 5 Absatz 2 StabMechG fest, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente, die zur Ausübung der Mitwirkung des Deutschen Bundestages dienlich sind, übermittelt.
Die am 1. Juni 2015 im Bundeskanzleramt geführten Gespräche betrafen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 19.6.2012 2 BvE 4/11, Rz. 100) unstreitig eine „Angelegenheit der Europäischen Union“ (Art. 23 Abs. 2 GG). Die Bundesregierung war hier auch zur umfassenden und frühzeitigen Information nach Art. 23 Abs. 1 GG verpflichtet, weil die Bundesregierung „in einen Abstimmungsprozess mit Dritten“, hier Präsident Hollande, EZB-Präsident Draghi, IWF-Direktorin Lagarde und EU-Kommissionspräsident Juncker, eintreten wollte, womit das „Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ fällt (a.a.O. Rz. 124).
Ferner hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellt, dass dem Zeitpunkt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu kommt. Demnach ist ausgeschlossen, „dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt.“ Vielmehr ist die Weiterleitung sämtlicher Dokumente geboten, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden (a.a.O. Rz. 127).
Zudem besteht auch eine Informationspflicht über „informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren.“ (a.a.O. Rz. 147).
Sollte im Kanzleramt tatsächlich ohne jegliche schriftliche Grundlage beraten worden sein, entbindet dies die Bundesregierung demnach nicht von ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, den Deutschen Bundestag umfassend im Voraus zu unterrichten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht „für informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist“ ausdrücklich auch für den Fall erklärt „wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstigen Beratungsunterlagen existieren“ (a.a.O Rz. 128). Nur vorsorglich möchten wir darauf hinweisen, dass auch eine Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen einer Unterrichtung des Bundestages nicht entgegen gestanden hätte, da nach der Rechtsprechung eine Übermittlung an die Geheimschutzstelle das Mittel der Wahl gewesen wäre, statt einer vollständigen Verweigerung von Informationen (a.a.O. Rz. 119).
Vor diesem Hintergrund fordern wir die Bundesregierung auf, den Deutschen Bundestag umgehend umfassend schriftlich und mündlich zu unterrichten sowie den Mitgliedern des Deutschen Bundestages alle relevanten Dokumente – nachdem sie diese, soweit dies ggf. erforderlich ist, von den europäischen Partnern besorgt hat gehend zu übermitteln.
Uns ist bewusst, dass das Bundesfinanzministerium mit dreitätiger Verzögerung unserer Forderung nach einer telefonischen Unterrichtung stattgegeben und auf den morgigen Freitag terminiert hat. Allerding soll die Unterrichtung lediglich im Nachgang zu der heute Abend stattfindenen Telefonkonferenz der
Eurogruppen-Arbeitsgruppe stattfinden. Vor diesem Hintergrund möchten wir betonen, dass wir aus genannten Gründen an unseren Forderungen nach schriftlicher und mündlicher Unterrichtung über die Beratungen im Bundeskanzleramt sowie nach Übersendung der entsprechenden Dokumente an den Deutschen Bundestag festhalten und diese durch die morgige Telefonkonferent nicht als erledigt betrachten können.
Eine Kopie dieses Schreibens haben wir dem Präsidenten des Deutschen Bundestages zur Kenntnis übermittelt.
Mit freundlichen Grüßen
Britta Haßelmann, MdB
Manuel Sarrazin, MdB
Sven-Christian Kindler, MdB
Dr. Gerhard Schick, MdB