Gastbeitrag von Manuel Sarrazin erschienen am 21.05.2015 auf euractiv.de
Nach nunmehr sechs Jahren und einem in seinen Erfolgen eher durchwachsenen Assoziierungsprozess, stellt sich die Frage nach einer Neujustierung der Östlichen Partnerschaft.
Spätestens mit der Annexion der Krim und der militärischen Intervention Russlands in der Ost-Ukraine, ist die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft (ÖP) in den Fokus der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) gerückt. Am 7. Mai 2009 gründete die EU mit Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine die ÖP, um die Transformation in diesen Partnerländern zu unterstützen, die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration zu fördern. Nach nunmehr sechs Jahren und einem in seinen Erfolgen eher durchwachsenen Assoziierungsprozess, stellt sich die Frage nach einer Neujustierung der Östlichen Partnerschaft. Diesem Umstand trägt der durch die EU-Kommission und dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) ins Leben gerufene Diskussions- und Reviewprozess mit dem Ziel einer Überarbeitung der ENP jetzt Rechnung.
Die erschütternden Ereignisse auf dem Maidan in Kiew haben uns vor Augen geführt, dass die EU bei der Umsetzung der Transformations- und Reformagenda in den Ländern der Östlichen Partnerschaft zu lange hauptsächlich auf die Herrschaftseliten und nicht genügend auf die Einbindung der Zivilgesellschaften in diesen Prozessen gesetzt hat. So zeigte sich in der Ukraine nach dem November 2013 der Charakter der Partner, mit denen die EU jahrelang über eine Assoziierung verhandelt hatte. Ein zu starrer Blick auf die rein technische Umsetzung der Assoziierungsabkommen hatte allzu oft vergessen lassen, warum die Gesellschaften in den Partnerländern nach einer engeren Bindung oder einem Beitritt zur Europäischen Union streben. Es sind vor allem die europäischen Werte, die die Menschen teilen und in ihren Ländern umgesetzt sehen wollen. Die EU-Erweiterungen aus dem Jahr 2004 haben nicht nur den Anstoß für die Entwicklung einer Nachbarschaftspolitik gegeben, sie haben den Menschen auch vor Augen geführt, wie durch eine konsequente Reformagenda ein gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Wandel möglich ist. Der russische Krieg in der Ukraine und die unterschiedlichen Krisenherde von Transnistrien bis Abchasien stellen deswegen ein zentrales Versprechen der EU in Frage. Nämlich das Prinzip von werteorientierten Reformen als Voraussetzung und Ziel einer engeren Zusammenarbeit und Unterstützung, also eine politische und wirtschaftliche Assoziierung mit der EU für eine konsequent durchgeführte Reformagenda.
Der Schlüssel für den Erhalt der europäischen Friedensordnung
Im Gegensatz zur Meinung mancher Akteure in der europäischen Außenpolitik ist der Schlüssel für den Erhalt der europäischen Friedensordnung nicht, den Diskurs des Kremls über die Zukunft der Region indirekt zu übernehmen und durch die eigene Politik Russlands Interessen eine Bedeutung für die Zukunft anderer souveräner Staaten in der Region zuzubilligen. Vielmehr ist durch eine eigene wertegebundene Interessenpolitik mit den zivilen Instrumenten der Europäischen Union Russland gegenüber klarzustellen, dass es seinen Einfluss in der Region nur unter Rückkehr zur Prämisse souveräner, selbstständiger Staaten in akzeptierten Grenzen eines post-sowjetischen Zentraleuropas erhalten kann. Dafür muss die EU unmissverständlich betonen, dass sie ihre Politik weiterhin an dieser Prämisse ausrichten wird. Hierzu gehört unbedingt auch, dass die freie Entscheidung der souveränen östlichen Nachbarstaaten der EU auch nicht dadurch eingeschränkt werden darf, dass die EU diesen Ländern unter Rücksicht auf zweifelhafte russische Interessen eine Beitrittsperspektive verwehrt, wenn sie sich frei und demokratisch für diesen Weg entscheiden wollen. Leider betreibt die Bundesregierung zurzeit genau das: Sie spricht sich in den Vorbereitungen der Gipfelerklärung für den Gipfel am 21. Mai 2015 in Riga gegen eine Beitrittsperspektive für die Länder der Östlichen Partnerschaft aus. Tatsächlich droht die entsprechende Formulierung sogar hinter dem Wortlaut der Erklärung von Vilnius vom Herbst 2013 zurückzubleiben. Die EU wiederholt damit nicht nur einen schwerwiegenden Fehler der vergangenen ÖP-Strategie, sondern wird damit letztlich auch dem Reform- und Transformationsprozess in den Partnerländern schaden, für dessen politische Durchsetzungsfähigkeit eine grundsätzliche EU-Perspektive von zentraler Bedeutung ist.
Es war und ist abzusehen, dass eine Nachbarschaftspolitik mit den östlichen Partnerländern ohne das grundsätzliche Inaussichtstellen einer Beitrittsperspektive, die proeuropäischen Zivilgesellschaften in den Nachbarstaaten schwächen und die Staaten anstatt auf einen Reformweg in Richtung von Demokratie und Marktwirtschaft, gewollt oder ungewollt anfällig für die Einflusssphärenpolitik Moskaus machen würde. Es war ein folgenschwerer Fehler, die Nachbarschaftspolitik 2004 ohne eine klare Aussage zu einer künftigen Beitrittsperspektive der Nachbarschaft gestartet zu haben. Für die Region östlich der EU wurde dieser kontraproduktive Formelkompromiss zwischen vor allem westeuropäischen und zentraleuropäischen Staaten zu lange fortgeschrieben. Diesen schwerwiegenden Fehler droht die Europäische Union jetzt bei der Neujustierung der Östlichen Partnerschaft zu wiederholen. Als einer der maßgebenden Akteure muss die Bundesregierung hier ihre falsche Rücksichtnahme auf Moskau endlich aufgeben.
Keine auf Russlands Ausgrenzung ausgerichtete Initiative
Die Östliche Partnerschaft steht für ein fortgesetztes Unterstützungsversprechen der EU, sie ist aber keineswegs eine auf Ausgrenzung von Russland ausgerichtete Initiative. Die wirtschaftliche und politische Assoziierung mit der EU schließt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Partnerländern und Russland nicht aus, sondern erlaubt ihr beispielsweise explizit, Freihandelsabkommen mit den Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion abzuschließen. Mit Blick auf die Beziehungen der östlichen Partner zu Russland handelt es sich daher nicht, wie von manchen behauptet, um ein „Entweder-Oder“, sondern vielmehr um ein „Sowohl-als-auch“. Russland wollte nicht an der ENP teilnehmen, als sie gegründet wurde. So wurden zwischen der EU und Russland vier Säulen der Zusammenarbeit im Rahmen einer Modernisierungspartnerschaft vereinbart, die in den folgenden Jahren aufgrund der mangelnden Bereitschaft Moskaus bei Grund- und Menschenrechten Fortschritte zu machen, im Sande verlief.
Durch den russischen Interventionskrieg in der Ukraine, aber auch durch die vielfältigen Handelssanktionen und anderen Drohungen Russlands gegenüber den Staaten der Östlichen Partnerschaft, die Assoziierungsabkommen unterzeichnet haben oder dies beabsichtigten, haben sich Grundannahmen der Nachbarschaftspolitik im Osten verändert. Russland steht dem Modell von Kooperation und geteilten Interessen in einer gemeinsamen Nachbarschaft derzeit offensichtlich feindlich gegenüber. Wladimir Putin ist bereit seinen neo-imperialen Hegemonieanspruch in der Region auch mit Mitteln durchzusetzen, die die assoziierungswilligen Staaten ökonomisch, politisch und in Fragen der Stabilität und Sicherheit in sogenannte „failed states“ verwandeln könnten, ja vielleicht sogar sollen. Die Politik der Östlichen Partnerschaft muss sich dieser Realität stellen. Sie muss bereit sein Unterstützung zu leisten, um die Verwundbarkeit der Partner im Osten für diese russische Politik zu mindern und Widerstandsfähigkeit der betroffenen Staatlichkeiten zu stärken. Dafür kommen eine Reihe von Maßnahmen in Betracht: Energiepolitische Diversifizierung und Solidarität, die Bereitschaft passende ökonomische Hilfsmaßnahmen umzusetzen um beispielsweise von russischen Handelssanktionen betroffenen Wirtschaftszweigen Unterstützung anbieten zu können, de
r konsequente Kampf gegen die Korruption in den Staaten, die die Glaubwürdigkeit des politischen Systems und zumeist auch dem Funktionieren der Sicherheitsorgane Schaden zufügt und ein verbesserter Marktzugang für Waren und Personen aus diesen Ländern. Darüber hinaus muss sich die EU aber auch damit beschäftigen, welches sicherheitspolitische Angebot sie künftig den Ländern der Östlichen Partnerschaft machen will, deren innenpolitische Lage aufgrund des Handelns des Kreml inzwischen tragischerweise vor allem über Sicherheitsinteressen definiert wird. Will die EU die Sicherheitspolitik nicht alleine der NATO überlassen, wird sie eine Antwort auf diese Frage geben müssen. Die EU verdankt ihre Glaubwürdigkeit ihrer zivilen Kompetenz als Friedensmacht. Gerade in vielen postsowjetischen Staaten brachte dieser Umstand der EU bisher einen besseren Ruf als der NATO ein und machte sie anschlussfähiger für in der Sowjetunion sozialisierte gesellschaftliche Gruppen. Die Skepsis gegenüber der NATO scheint jetzt, aufgrund der russischen Intervention in der Ost-Ukraine, zumindest mancherorts einem pro NATO-Kurs zu weichen. Die Europäische Union sollte trotzdem auf eine Unterstützung bei der Reform der Sicherheitsorgane zur Steigerung von mehr Effizienz und Rechtsstaatlichkeit und die Entwicklung neuer Instrumente setzen, die die Politik der Östlichen Partnerschaft mit Elementen der Konfliktbearbeitung und zivilen Krisenprävention kombinierbar machen. So kann beispielsweise das Versprechen eines Zugangs zum EU-Binnenmarkt ein Anreiz für eine pragmatische Lösung von Einzelfragen innerhalb von Ländern in denen Territorialkonflikte bestehen sein.
EU braucht klare eigene Strategie gegenüber Russland
Die russische Politik in der Nachbarschaft macht es für die EU notwendig, sich für eine klare eigene Strategie in der Region und damit gegenüber Russland zu entscheiden. Ein weiteres langes Abwarten bei der Festlegung dieser wird am Ende negative Fakten schaffen und die Destabilisierung der Region indirekt mit vorantreiben. Nur wenn Europa zur freien Entscheidung der Staaten der Östlichen Partnerschaft steht und bereit ist diese gegen russische Destabilisierungsversuche zu verteidigen, kann die EU eine Ostpolitik zur Stabilisierung ihrer direkten Nachbarschaft entwickeln. Deswegen muss sich die EU nach über zehn Jahren Nachbarschaftspolitik jetzt endlich zu den eigenen strategischen Interessen in der Region offen bekennen und diese auch den Partnern und Russland gegenüber klarstellen. Andernfalls verspielt sie früher oder später die Möglichkeit, stabilisierend Einfluss auf die Region nehmen zu können. Es bedarf eines klaren Bekenntnisses, das die EU in Zukunft nachhaltig und strategisch in die Region investieren wird und damit auch die frühere Politik eines „Russia First“ ausdrücklich beendet. Auf diesem Weg wird eine EU-Beitrittsperspektive mit einem in sich geschlossenen strategischen Angebot an die Länder der Östlichen Partnerschaft letztlich unverzichtbar sein, erst recht, wenn Russland gegen die Idee der Östlichen Partnerschaft eine feindlich gesinnte Haltung einnimmt und mit finanziellen und militärischen Mitteln dagegen interveniert. Es ist naiv zu glauben, dass in diesen Ländern dauerhaft demokratische Mehrheiten für notwendige, aber mühsame Transformationsprozesse gewonnen werden können, wenn auf das Zukunftsversprechen der EU-Mitgliedschaft verzichtet wird. Deswegen wird diese Frage entscheidend für das Gewicht der proeuropäischen politischen Akteure in diesen Ländern sein und damit auch für die Entschiedenheit ihrer Transformationsprozesse. Ohne ein strategisches Bekenntnis der EU ist selbst das wirtschaftlich nicht annähernd so attraktive neo-hegemoniale Konzept der Eurasischen Wirtschaftsunion für viele Menschen attraktiver, wenn Russland mit allen Mitteln bereit ist, die Staaten seiner Nachbarschaft zu destabilisieren und durch ein Abhängigkeitsverhältnis dauerhaft an sich zu binden.
Wer ernsthaft glaubt, die Region der Östlichen Partnerschaft unter russischer Führung, mit einem sich immer mehr in Richtung Autokratie entwickelnden Regime im Zentrum stabilisieren zu können, muss die tragischen Ereignisse auf dem Maidan verschlafen haben und unterschätzt die politischen Dynamiken, die von den demokratischen Mehrheiten in vielen Ländern der Nachbarschaft und vielleicht eines Tages auch von den Menschen in Russland ausgehen können. Deswegen muss die EU, wenn Russland das strategische Bekenntnis der EU als Bedrohung seiner im Kern illegitimen Ansprüche auffasst, bereit sein, mit allen Mitteln ihrer „soft power“ auch in eine Konfrontation mit Russland zu gehen. Meldet Russland pragmatische Bedenken an und will sich als Wahrer seiner eigenen Interessen an den Prozessen in der Region beteiligen und als Verhandlungspartner der EU vorkommen, sollte die EU Russland das zubilligen. Das geeignete Format wäre dabei eine Neuauflage der EU-Russland-Verhandlungen. Eine Beteiligung Russlands an der Aushandlung bilateraler Verträge zwischen der EU und Dritten kommt auf keinen Fall in Frage.
Offensiv Angebote an Russland
Die EU sollte parallel zur Politik der Östlichen Partnerschaft offensiv Angebote an Russland formulieren. Natürlich ist für Sicherheit und Stabilität in der Region grundsätzlich eine Kooperation mit Russland anzustreben. Deswegen sollten die Wirtschaftskooperationen wie zum Beispiel eine vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) aus der Politik der Östlichen Partnerschaft ebenso Russland angeboten werden. Dabei muss die Europäische Union bereit sein, Russland gegenüber nicht an innerstaatliche Transformationserfolge gebundene Angebote zu machen, die sie bei anderen Partnern nur im Zusammenhang mit werteorientierten Transformationserfolgen, wie mehr Rechtsstaatlichkeit oder aktive Korruptionsbekämpfung machen würde. Russland würde zwar gewissermaßen eine Extrawurst bekommen, nur so würde aber endlich Realität in die EU-Russland-Beziehungen einkehren und Russlands gescheiterter Transformationsprozess zum jetzigen Zeitpunkt endlich einmal klar benannt werden. Das bedeutet nicht, dass die Europäische Union nicht an der Lage der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Russland interessiert bleiben würde. Statt jedoch das ewige Spiel mit dem Kreml fortzusetzen, könnte sie mehr Engagement und Ressourcen in die Unterstützung der Zivilgesellschaft stecken. Die Neuausrichtung des Petersburger Dialogs, der auf deutscher Ebene den zivilgesellschaftlichen Austausch mit Russland wieder stärker in der Vordergrund rücken soll, ist auch ein Zeichen dafür, dass der Austausch mit den Kreml-nahen Eliten des Landes nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. Im Gegenzug sollte dieses Angebot allerdings an konkrete russische Schritte des Entgegenkommens gebunden sein, die der Politik der Östlichen Partnerschaft insgesamt dienen. Zuallererst müsste das Angebot eine vollständige Umsetzungen der Vereinbarungen von Minsk verlangen und folgend auch anderen Maßnahmen zur Stärkung der territorialen Integrität der Ukraine oder der Energiesicherheit von anderen Ländern in der Östlichen Partnerschaft. Je nach Fortschritten in diesen Bereichen könnte die EU alle Vorzüge der Kooperation mit der EU grundsätzlich auch Russland offerieren, sei es das Ziel von Freihandel oder auch Visa-Erleichterungen und Visa-Freiheit, vielleicht ja sogar eines Tages wieder eine Modernisierungspartnerschaft. Die EU sollte sich aber der Realität bewusst sein und wissen, dass diese – wie wohl die meisten vertretbaren Angebote zur Zusammenarbeit – in der derzeitigen machtpolitischen Abwägung der russischen Führung kaum auf Interesse stoßen werden. Daran wird die EU aber so lange nichts ändern können, so lange es im Kreml bei einem bewusst gewählten Kurs der eigenen Isolation für den eigenen Machterhalt und die innenpolitische Legitimierung des Herrschaftssystems bleibt. Gerade deswegen ist es aber wichtig, weiterhin eine Politik der offenen Tür zu betreiben, ohne dabei Konzessionen an die eigenen Interessen in de
r östlichen Nachbarschaft zu machen. Die EU muss bereit sein zu akzeptieren, wenn Russlands aktuelle politische Führung sich gegen eine Kooperation entscheidet, ohne dass diese Ablehnung zu einem weitergehenden politischen Entgegenkommen der EU führen darf.
Ernüchternde Bilanz
Eine ehrliche Bilanz nach zehn Jahren Nachbarschaftspolitik im Osten und nach etwas mehr als fünf Jahren Politik der Östlichen Partnerschaft fällt eher ernüchternd aus. Zwar sind mit drei von sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft Assoziierungsabkommen die ein vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen beinhalten abgeschlossen worden, gleichzeitig muss man aber festhalten, dass die Transformationserfolge der ÖP in diesen Ländern eher durchwachsen und labil sind. In der Ukraine hat der Verhandlungsprozess über das Assoziierungsabkommen mit der alten Regierung Janukowitsch keineswegs die Reformen in Staatswesen und Wirtschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erbracht, die eigentlich Ziel des Prozesses waren. In der Republik Moldau ist mit der Bildung der neuen Regierung nach dem knappen Wahlsieg der eher proeuropäischen Kräfte unter dem Premierminister Leancă ein herber Rückschlag für die Glaubwürdigkeit des Transformationsprozesses vorhanden. Alle Reformbemühungen in Georgien werden weiterhin von den Problemen mit den Konfliktregionen Abchasien und Südossetien überbeschattet. Dieser Herausforderung muss die neue Politik der Östlichen Partnerschaft ebenso genügen, wie den Herausforderungen durch die russische Politik in der Region. Deswegen müssen für die drei „In-Staaten“ neben der technischen und rechtlichen Implementierung der Assoziierungsabkommen differenziertere Angebote geschaffen werden, die das Ziel haben, den Transformationsprozess nicht allein aufgrund externer Anreize vonseiten der EU voranzutreiben. Es muss darum gehen die Eigenverantwortung der Länder in diesem Prozess zu stärken. Dafür benötigt die EU eine neue Strategie, die die Entwicklung und Förderung von unabhängigen zivilgesellschaftlichen Kräften in jedem einzelnen Land der Östlichen Partnerschaft in den Fokus rückt, in den Aufbau wirklich unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure in den jeweiligen Ländern investiert und diese in den nationalen politischen Kontexten gegenüber den herrschenden Eliten stärkt. Die EU darf nicht mehr den Eindruck erwecken, vor allem der Partner der herrschenden Eliten zu sein, die sich hinter dem Rücken der EU keineswegs immer an die Ziele und Werte der Europäischen Union halten. Sie muss eigene Kanäle in die Gesellschaften entwickeln, die nicht in Abhängigkeit oder Abstimmung mit der jeweiligen Regierung stehen und diese institutionalisieren. Das bisherige „Eastern Partnership Civil Society Forum “ reicht hierfür nicht aus und muss zielgenauer auf die Teile der Zivilgesellschaft abzielen, die unabhängig sind. Die Arbeit des Europäischen Demokratiefonds (European Endowment for Democracy EED) sollte finanziell gestärkt werden und weiterhin den Aufbau demokratischer zivilgesellschaftlicher Organisationen unterstützen. Ebenso muss für die EU gelten, dass ihre Werte- und Gemeinschaftsstandards auch für die Regierungen der östlichen Partnerländer gelten und deutlich formuliert werden, vor allem wenn es um die Fragen Rechtsstaatlichkeit und Korruption geht.
Zur notwendigen Differenzierung gehört, dass die EU in der Implementierung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen und darüber hinaus politische Bereiche fokussiert und priorisiert, die für die Partnerländer realpolitisch entscheidend sind. Neben dem Thema Stärkung der Zivilgesellschaft muss die EU einen auf die Länder abgestimmten Maßnahmenplan entwickeln, den die bisherigen Aktionspläne in der Form nicht geleistet haben. Dieser Maßnahmenplan muss die Bereiche Rechtstaatlichkeit, Kampf gegen Korruption, Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber Russland, Energie, regionale Zusammenarbeit und Ökologie je nach Situation und Voraussetzung im jeweiligen Land spezifisch bearbeiten. Diese Maßnahmen dürfen sich nicht mehr allein an der technokratischen Verhandlung bzw. Umsetzung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen orientieren und müssen den Beobachtungen von vor Ort, ähnlich wie in den Erweiterungsprozessen, mehr Relevanz zubilligen. Anstatt technisch vor allem auf die Erreichung von Standards abzuzielen, müssen Prozesse und Akteure in den Fokus rücken, die zu Innovations- und Reformprozessen beitragen und diese anstacheln können. Dabei muss auch quer zu den klassischen Themenzuständigkeiten gedacht werden. Beispielsweise ist eine funktionierende Umweltpolitik ein wichtiger Garant im Kampf gegen Korruption, die in diesen Staaten oft in mit ökologischen Kosten verbundenen Bereichen wie das Bauwesen, Energie, Verkehr oder die Ausbeutung von Rohstoffen grassiert. Zudem müssen Wege gefunden werden, die die Kohärenz der Politik der verschiedenen Institutionen der EU (Kommission und Europäischer Auswärtiger Dienst) und der nationalen Regierungen garantiert und eine Reformagenda für das jeweilige Land formuliert.
Ein differenzierender Ansatz für die „Out-Staaten“
Mit den drei „Out-Staaten“ der Östlichen Partnerschaft, also Staaten die kein Assoziierungsabkommen unterzeichnet haben, sollte die EU weiterhin Kooperationen suchen. Hier empfiehlt sich ein differenzierender Ansatz, der versucht den jeweiligen Stärken der EU und Abhängigkeiten des einzelnen Landes von Russland genauso Rechnung zu tragen, wie der jeweiligen Situation der Zivilgesellschaft vor Ort. Grundidee sollte dabei sein zu versuchen Möglichkeiten zu finden, wie sich trotz eines Beitritts zur Eurasischen Wirtschaftsunion wirtschaftliche Beziehungen stärken und bessere Rahmenbedingungen für den Handel mit der EU finden lassen. Gleichzeitig sollte die EU möglichst schnell ausloten welche Angebote sie der Bevölkerung in diesen Ländern beim Thema Reiseerleichterung machen kann. Natürlich geht es auch bei diesen Ländern darum die zivilgesellschaftliche Arbeit zu stärken und so Reform- und Transformationsprozesse anzustoßen. Ein wichtiges Ziel sollte es sein, wo möglich die Zusammenarbeit innerhalb der Länder zu unterstützen und aktiv zur Befriedung der Konflikte in der Region wie den Bergkarabachkonflikt beizutragen. Verstärkte wirtschaftliche Kooperation kann die Abhängigkeit vom Kreml in Bereichen wie der Energie- oder Handelspolitik mindern. Flankiert werden sollten diese Bemühungen mit dem Versuch, die inzwischen veralteten Partnerschaftsabkommen mit diesen Ländern zu erneuern, um so unterhalb der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen Grundlagen für eine Zusammenarbeit und Partnerschaft der Länder mit der EU zu schaffen, die sich gegen eine Assoziierung entschieden haben.
In den nächsten Jahren könnte sich eine Differenzierung durch unterschiedliche Integrationsangebote entwickeln, die im Gegensatz zum Vorgehen des Kreml, die Interessen und freie Entscheidung der betreffenden Länder respektiert. Durch eine Strategie der EU, die eine Beitrittsperspektive für die Länder der Östlichen Partnerschaft verspricht und alle Anstrengungen dafür unternimmt in ihrer Nachbarschaft zu werteorientierten Transformationsprozessen beizutragen, kann es ihr gelingen, den Wohlstand und Frieden in der Region der Östlichen Partnerschaft zu stärken. Diese Anstrengungen sind es wert, wenn sie zu einem ähnlichen Erfolg verhelfen, wie wir ihn durch das Friedenprojekt EU-Osterweiterung nach 1989 erlebt haben.