Nur eine politische Lösung kann verhindern, dass Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen in einen neuen, blutigen Bürgerkrieg zurückfällt. Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen daher ihre Anstrengungen erhöhen, um den Verhandlungs- und Reintegrationsprozess in Afghanistan zu unterstützen und eine Friedenslösung unter Einbeziehung der beteiligten Nachbarstaaten zu erzielen. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die erreichten Fortschritte insbesondere bei Menschenrechten insbesondere für Frauen und Mädchen im Rahmen der Verhandlungen nicht ausgehöhlt werden.
Der zivile Aufbau in Afghanistan erfordert ein langfristiges Engagement der internationalen Gemeinschaft und verlässliche Zusagen für Hilfen und Unterstützungsleistungen auch über das Jahr 2014 hinaus. Hierzu gehört, die im Juli 2012 auf der Geberkonferenz in Tokio gemachte Zusage einzuhalten, bis einschließlich 2015 jährlich 430 Millionen Euro für den zivilen Aufbau bereitzustellen. Die Bundesregierung belässt es jedoch bei vagen Zusagen und hat sich im Rahmen der letzten Haushaltsverhandlungen von verbindlichen Mittelzusagen für Afghanistan verabschiedet. Dies ist ein herber Rückschlag für die afghanische Zivilbevölkerung.
Um der Verantwortung Deutschlands für die Menschen in Afghanistan endlich gerecht zu werden, muss die Bundesregierung bindende Verpflichtungen aussprechen. Darüber hinaus braucht es vor allem eine umfassende Agenda für den zivilen Aufbau, die das deutsche Engagement im politischen und entwicklungspolitischen Bereich für die Zeit nach 2014 für Afghanistan verlässlich festlegt. Dies ist auch erforderlich, da in Afghanistan die Befürchtung zunimmt, dass mit dem militärischen Abzug auch die meisten Aufbauhelferinnen und -helfer das Land verlassen werden.
Im militärischen Engagement setzen Partnernationen weiter auf kontraproduktive „gezielte Tötungen“. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen von ISAF und gegenüber den Partnern dafür einsetzen, dass dieses falsche Vorgehen beendet wird. Sie muss außerdem sicherstellen, dass sich die Bundeswehr nicht an solchen Aktionen beteiligt.
Es ist zu kritisieren, dass die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Abzugsplanung im Ungefähren bleibt. Die enormen logistischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen müssen endlich nachvollziehbar ausbuchstabiert werden, um verlässlich und transparent darzulegen, wie der zugesagte Abzug sämtlicher Truppen mit einem Kampfauftrag bis Ende 2014 in verantwortbarer Art und Weise realisiert werden soll.
Die Bundesregierung muss sich in diesem Zusammenhang auch dafür einsetzen, dass die afghanischen Ortskräfte, die für die Bundeswehr u.a. als Dolmetscher, Fahrer und Arbeiter tätig waren und nun Repressalien durch die Taliban befürchten, nicht ihrem Schicksal überlassen werden, und sie muss ihnen ein großzügiges Aufnahmeangebot machen.
Trotz unserer Kritik an der unzureichenden und teilweise fehlgeleiteten Afghanistan-Strategie der Bundesregierung stimmen wir dem Mandat zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr bis zum 28. Februar 2014 zu. Dies ist eine schwere Gewissensentscheidung.
Mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft haben wir eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Wir fühlen uns weiterhin verpflichtet, sie nicht alleine zu lassen. Zustimmung bedeutet auch, dass wir Mitverantwortung übernehmen für den schwierigen, oft lebensgefährlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer.
Ein sofortiger militärischer Abzug würde die Menschen in Afghanistan in einem neu eskalierenden Bürgerkrieg alleine zurücklassen und die gesamte Region destabilisieren. Die Polizei und die Armee Afghanistans sind noch nicht in der Lage, verlässlich für die Sicherheit im Land zu sorgen. Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus Afghanistan machen immer wieder deutlich, dass deswegen eine –wenn auch befristete- militärische Präsenz internationaler Truppen notwendig ist.
Ein einseitiger Abzug der Bundeswehr wäre gleichzeitig der Ausstieg aus einer verantwortlichen multilateralen Politik. Das weitere Vorgehen in Afghanistan muss innerhalb der internationalen Gemeinschaft zusammen mit den Afghaninnen und Afghanen abgestimmt werden.