Am 19. Dezember wird Kroatien den Beitrittsvertrag zur Europäischen Union unterschrieben. Damit ist ein sechsjähriger Prozess auf der Zielgeraden angekommen, der einmal mehr gezeigt hat, welche Transformationskraft der Beitrittsprozess freisetzen kann.
Montenegro steht heute in den Startlöchern dieses Prozesses. Den Verlauf hat Montenegro erfolgreich absolviert. Montenegro hätte sicher eine bessere Leistung zeigen können, aufgrund des ambitionierten Schlussspurts können wir aber heute sagen, dass Montenegro für den anstehenden Prozess bereit ist. Montenegro hat gezeigt, dass es willens ist, auch schwierige Hürden zu nehmen. Diesen Willen wird es auch weiterhin brauchen.
Wir entscheiden heute nicht über den Beitritt Montenegros zur Europäischen Union. Wir entscheiden einzig über die Aufnahme von Verhandlungen. Beitreten wird Montenegro erst, wenn es alle notwendigen Reformen umgesetzt und alle Anforderung für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt hat. Montenegro kann also erst beitreten, wenn es auf der Zielgeraden angekommen ist und die Ziellinie überquert.
Vor Montenegro liegt ein langer und schwerer Weg. Große Herausforderungen warten in den Bereichen Justiz und Grundrechte sowie Recht, Freiheit und Sicherheit. Weitgreifende Reformen sind insbesondere bei der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität sowie der Antidiskriminierung notwendig. Es ist gut und richtig, dass die EU-Kommission diese Schlüsselbereiche so früh wie möglich angehen will, um innerhalb der Verhandlungen auch überzeugende Erfolgsbilanzen zu ermöglichen. In diesem Punkt hat die Kommission aus dem Beitrittsprozess Kroatiens die richtigen Schlüsse gezogen. Wir halten außerdem die Entpolitisierung von Justiz und Verwaltung, die Sicherstellung einer starken Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft für zentrale Herausforderungen. Hier liegen die Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Demokratie.
Schließlich spielt auf dem gesamten westlichen Balkan die Frage der Minderheiten eine wichtige Rolle. Ich denke dabei vor allem an die schwierige Situation der Roma. Sie leben vielerorts in Zuständen, die Menschen nicht würdig sind. Sie sehen sich Diskriminierung ausgesetzt, ihnen werden noch immer soziale und wirtschaftliche Rechte vorenthalten. Diese Probleme muss Montenegro, wie auch alle anderen Staaten des westlichen Balkans, so schnell wie möglich angehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Europäische Union nach wie vor ein Problem im Umgang mit den Minderheiten hat. Ich erinnere nur an den Umgang mit Roma in Frankreich im letzten Jahr und in Ungarn, in der Slowakei und in Tschechien in diesem Jahr. Ungarn hat während seiner Ratspräsidentschaft einen Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma vorgelegt. Die EU muss diesen guten Ansatz konsequent weiterverfolgen und auch die Staaten des westlichen Balkans frühzeitig einbeziehen.
Ich möchte auch noch ein paar Worte zur Umweltfrage im Beitrittsprozess sagen: Wir Grüne setzen uns seit jeher dafür ein, dass der Zustand der Umwelt, hohe Umweltstandards und vor allem deren Einhaltung eine gewichtige Rolle in Beitrittsverhandlungen spielen. Engagement in Bezug auf Natur und natürliche Ressourcen ist dabei nicht einfach nur ein Selbstzweck, sondern auch eine Frage der Selbstbehauptung gegen mangelnde Korruptionsbekämpfung in künftigen EU-Staaten. Es gibt kaum einen anderen Bereich, der mit Korruption so eng verbunden ist, wie Umweltverschmutzung oder Raubbau an der Natur, sei es bei Bauvorhaben, Infrastrukturprojekten oder der öffentlichen Vergabe. Wenn wir Korruption als eine der großen Herausforderungen auf dem westlichen Balkan bekämpfen wollen, dann brauchen wir gute und hohe Umweltstandards und Reformen, die die Einhaltung dieser Standards auch sicherstellen.
Wir glauben, dass Montenegro es schaffen kann, diese Herausforderungen erfolgreich zu bestehen. Wir unterstützen daher die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den Prozess zurückkommen und auch ein paar Worte zu den anderen Staaten des westlichen Balkans sagen. Die Beitritte von Rumänien und Bulgarien haben gezeigt, wie Beitritte nicht ablaufen dürfen. Bei Rumänien und Bulgarien wurde die Strecke kurzerhand verkürzt und darauf vertraut, dass die Länder auch nach Überquerung der Ziellinie noch bis in den ursprünglichen Zielbereich weiterlaufen. Das hat nicht funktioniert, Rumänien und Bulgarien haben sich nach dem Beitritt ausgeruht, der Reformeifer ist schnell erlahmt.
Daraus hat die EU gelernt: Vor Überschreitung der Ziellinie musste Kroatien die Kopenhagener Kriterien erst vollständig erfüllen bzw. die Erfüllung absichern. Kroatien musste die vollständige Strecke zurücklegen. Diese Anforderungen legen wir auch an Montenegro und alle anderen künftigen Beitritte an. Beitritt erst nach Erfüllung aller Kriterien. Das Reformtempo muss das individuelle Beitrittstempo jedes einzelnen Staates bestimmen.
Diese harte Konditionalisierung ist richtig, sie stellt den westlichen Balkan aber auch vor ein großes Problem. Die Staaten werden nicht gleichzeitig am Ziel – also in der EU – ankommen. Kroatien ist schon da, Montenegro startet, Serbien wird bald die Verfolgung aufnehmen. Wann das Kosovo, wann Bosnien und Herzegowina an den Start gehen, ist noch völlig offen. Die Aufnahme der Verhandlungen mit Mazedonien sind auf nicht absehbare Zeit durch den Namensstreit mit Griechenland blockiert. In dieser Ungleichzeitigkeit steckt aber eine große Gefahr. Daher gilt es, parallel zu den künftigen Beitrittsverhandlungen auch Wege und Formen zu finden, das Kosovo und Bosnien nicht zurückzulassen. Wir müssen diese Staaten mitnehmen. Die ungleichzeitige europäische Integration darf nicht die Isolierung anderer Staaten bedeuten. In dieser Frage sind wir dem westlichen Balkan noch Antworten schuldig.