Der Bundestag wolle beschließen
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die europäische Integration hat Europa Frieden und Wohlstand, der Euro Wechselkurs- und Geldwertstabilität gebracht. Der Euro ist nicht nur ökonomisch in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. Er ist auch ein täglich sichtbares Zeichen der erfolgreichen europäischen Integration und der Einbindung Deutschlands darin.
Der Weg aus der Eurokrise kostet Geld und erfordert nachhaltige Entscheidungen. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euros wären gerade für Deutschland enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land von Binnenmarkt und gemeinsamer Währung. Deutschland braucht die Europäische Union. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre. Politisch wird eine starke und handlungsfähige EU gebraucht, um den globalen Herausforderungen Finanzmarktkrise, Klima- und Armutskrise begegnen zu können. Denn Europa kann in einer globalen Welt seine Interessen nur wirksam wahrnehmen, wenn es geeint ist und nicht zerfällt. Deshalb ist eine gemeinsame Antwort auf die Schuldenkrise nicht nur ein Akt europäischer Solidarität. Sie liegt auch und gerade im deutschen Interesse.
Die Krise, die seit 2007 die Weltwirtschaft beutelt, hat sich zuletzt erneut zugespitzt. In Europa wie in den USA und Japan steht jetzt vor allem die Verschuldung der Staaten im Fokus. Aber auch die Gefahr einer neuen Rezession droht. Die wichtigste Schwachstelle sind aber immer noch die instabilen Banken. Sie beschleunigen die Übertragung der Probleme eines Landes auf die anderen Länder. Nach wie vor ringt die Europäische Union um die Stabilität der Eurozone und eine tragfähige Lösung der Schuldenkrise.
Mit den Beschlüssen der EU-Gipfel vom März und Juli 2011 wurde vereinbart, dass der derzeitige Euro-Rettungsschirm (EFSF) aufgestockt und mit wichtigen Instrumenten ausgestattet werden soll. Umgesetzt wird die EFSF mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG). Zukünftig kann die EFSF nicht nur Kredite an notleidende Euro-Staaten vergeben, sondern auch zur Vermeidung von Ansteckungseffekten, Staatsanleihen am Sekundär- und Primärmarkt aufkaufen sowie Kredite zur Re-Kapitalisierung von Banken und vorsorglichen Kreditlinien zur Verfügung stellen. Diese neuen Instrumente machen die EFSF und den auf ihr aufbauenden dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) handlungsfähiger. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sowohl diese zusätzlichen Instrumente als auch einen dauerhaften Krisenmechanismus (ESM) seit Einführung der Rettungsmechanismen im Mai 2010 gefordert. Wieder handelte die Bundesregierung viel zu spät und viel zu zögerlich. Mit einer Politik der kleinen Schritte lässt sich diese Krise nicht lösen. Das unerlässliche Bekenntnis zur Stabilität des Euro hat die Bundesregierung viel zu lange blockiert und damit zur Zuspitzung der Schuldenkrise beigetragen.
Weil aufgrund mangelnden Krisenmanagements die notwendigen Instrumente fehlen, wurde die Europäische Zentralbank (EZB) von den Euro-Staaten in die Rolle des Retters gedrängt. Dies ist die intransparenteste und schlechteste Lösung eines Rettungsmechanismus. Damit die EZB bei weiteren zu erwartenden Zuspitzungen an den Finanzmärkten nicht erneut zu einer Intervention gezwungen ist und Staatsanleihen aufkaufen muss, sollte die EFSF über die jetzt vorhandene Möglichkeit hinaus in die Lage versetzt werden, dieses zu leisten.
Völlig unzureichend ist die bisherige Ausgestaltung der Gläubigerbeteiligung. Der Marktwert der Griechenland-Anleihen liegt zum Teil bei nur noch 50 Prozent ihres Nennwerts. Die privaten Gläubiger (vor allem Banken) sollen nach der getroffenen Vereinbarung aber nur auf 21 Prozent ihrer Forderungen verzichten und erhalten im Gegenzug auch noch die gemeinschaftlich besicherten EFSF-Anleihen. Im Vergleich mit dem eigentlichen Marktwert ihrer Anleihen machen die Banken sogar ein gutes Geschäft.
Zentral ist ein Gleichgewicht zwischen weitgehenden Mitbestimmungs- und Kontrollrechten für den Deutschen Bundestag und einem handlungsfä
higen Euro-Rettungsschirm. Dies hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in seinem Urteil zum Euro-Rettungsschirm bestätigt. Das Haushaltsrecht des Parlaments muss gewahrt sein und gleichzeitig muss der Bundestag der Verantwortung für die europäische Integration und einen stabilen Euro gerecht werden können. Die EFSF und der ESM sind wichtige Schritte zur Lösung der Eurokrise und zur dauerhaften Stabilisierung des Euro.
Für eine dauerhafte Lösung der Krise wird sich die Europäische Union weiterentwickeln müssen. Denn eines hat die Krise deutlich gemacht: mit wirtschafts- und haushaltspolitischer Kleinstaaterei muss endlich Schluss sein. In der Vergangenheit konnten die Regierungen von ihren europäischen Partnern mehr oder weniger unbeachtet rein national geprägte Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitiken betreiben. So haben sich gravierende Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur, der Wettbewerbsfähigkeit und dem Zustand öffentlicher Finanzen aufgebaut. Die EU braucht daher Instrumente mit Durchschlagskraft, die EU braucht mehr Integration, um die Ursachen dieser Krise nachhaltig und sozialverträglich zu bekämpfen:
- Die EU braucht eine demokratisch legitimierte Wirtschaftsunion, die eine aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik möglich macht.
- Die EU wird nur aus der Krise kommen, wenn Schulden und Defizite auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden. Das ist mit Sparen allein aber nicht zu schaffen. Europa braucht trotz aller Konsolidierungsbemühungen Investitionen und Investitionsanreize in den ökologischen und sozialen Umbau der Wirtschaft, die neue wirtschaftliche Dynamik schaffen und den Menschen vor Ort eine Perspektive geben. Herausforderungen wie die Harmonisierung von Steuern, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer müssen ebenso umgesetzt werden wie gemeinsame soziale Mindeststandards.
- Verteilungsgerechtigkeit muss bei der Formulierung und der Umsetzung der Anpassungsprogramme gewährleistet sein.
- Der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt und das neue Verfahren zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte müssen künftig einen wichtigen Beitrag zur stärkeren Abstimmung der nationalen Politiken leisten. Viel zu lange hat die Bundesregierung aufgrund nationaler Engstirnigkeit die Verhandlungen auf europäischer Ebene blockiert. Die Bundesregierung muss ihren Widerstand gegen die symmetrische Betrachtung von Leistungsbilanzungleichgewichten endlich aufgeben. Als weiteren Schritt muss das Europäische Semester unter stärkerer Beteiligung des Europäischen Parlaments zum verbindlichen Koordinierungsverfahren nationaler Haushalts- und Wirtschaftspolitiken weiterentwickelt werden.
- Die EU braucht zügig den ESM als dauerhaften Krisenmechanismus. Der ESM stabilisiert den Euro, weil er klare Regeln für Finanz-Notfälle schafft, und er unterbindet spekulative Wetten gegen die Euro-Staaten.
- Um die Probleme von Staaten und Banken endlich zu trennen, braucht Europa einen europäischen Bankenrettungsfonds, der Banken direkt kapitalisieren kann und über eigene Abwicklungskompetenzen auf Basis eines europäischen Insolvenzrechts für Banken verfügt. Als Vorsichtsmaßnahme sollte baldmöglichst ein verbessertes Finanzmarktstabilisierungsgesetz (SoFFin-Gesetz) vorgelegt werden, damit Deutschland zur Not in der Lage ist, Banken zu stabilisieren. Außerdem sollte die direkte Kapitalisierung von Banken durch den EFSF ermöglicht werden.
- Eurobonds, die bis zu einer stabilitätswahrenden Grenze der Staatsverschuldung ausgegebenen werden, können ein richtiges Instrument für den langfristigen Umgang mit Risiken für die Finanzstabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets werden. Eurobonds müssen mit einer Stärkung der finanzpolitischen Disziplin einhergehen. Anreize für eine nachhaltige Finanzpolitik müssen im Vorfeld gesichert werden und nicht durch Strafmaßnahmen, die erst im Nachhinein greifen.
Langfristig werden Änderungen der europäischen Verträge nötig sein. Ein Europäischer Konvent muss in den nächsten Jahren demokratisch, transparent und unter Beteiligung der Parlamente und der europäischen Zivilgesellschaft gemeinsame Perspektiven für den nächsten Schritt in der Vertiefung der europäischen Integration ausarbeiten. Es geht um die Zukunft der Wirtschaftsunion, aber auch um die Zukunft der sozialen und demokratischen EU. Eine Konferenz der nationalen Regierungen, die einen großen institutionellen Befreiungsschlag im diplomatischen Hinterzimmer auskungelt, würde dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Fortbestand der Europäischen Union einen Bärendienst erweisen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- endlich einen klaren pro-europäischen Kurs in der deutschen Europapolitik einzuschlagen und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU wieder herzustellen;
- die Politik der kleinen Schritte zu Gunsten von nachhaltig wirkenden, großen Lösungen aufzugeben;
- bei den europäischen Partnern für einen Europäischen Konvent mit dem Ziel einer stärkeren Europäischen Integration zu werben;
- sich für eine schnellstmögliche Ratifizierung und Inkraftsetzung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einzusetzen und damit die Schaffung eines regelgebundenen Verfahrens zu forcieren, das künftig bei festgestellter Insolvenz von EU-Mitgliedstaaten eine Gläubigerbeteiligung des Privatsektors vorsieht, um die Schuldenlast des betroffenen Staates auf ein tragfähiges Niveau senken zu können;
- sich für eine umfassende und wirksame Regulierung der Finanzmärkte stark zu machen, die Banken dazu zwingt, deutlich mehr Eigenkapital vorzuhalten und bei der die Anforderungen mit der Größe der Bank steigen. Wir brauchen eine europäische Bankenaufsicht, die zukünftig auf Augenhöhe mit der Branche ist und den politischen Auftrag wie die Ressourcen hat, um präventiv einzugreifen. Zudem müssen rein spekulative Finanzprodukte verboten und endlich die Problematik zu großer Banken (too big tofail) systematisch angegangen werden;
- die Beteiligung der privaten Gläubiger neu zu verhandeln;
- sich für Programme in den überschuldeten Mitgliedstaaten einzusetzen, welche nachhaltige Wachstumsimpulse nicht abwürgen; diese Programme sozialverträglich auszugestalten und dabei auch die Einnahmeseite verstärkt in den Blick zu nehmen.
- sich für ein europäisches Investitionsprogramm für den ökologischen und sozialen Umbau der Wirtschaft einzusetzen;
- die für Oktober von der EU-Kommission angekündigten Vorschläge für Eurobonds konstruktiv zu begleiten statt sie pauschal abzulehnen;
- das Europäische Semester (zur Abstimmung der jährlichen Haushaltsplanung) als wichtiges Instrument einer starken Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken ernst zu nehmen und sich für eine verbindlichere Umsetzung sowie eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente einzusetzen;
- einer Finanztransaktionssteuer in der Euro-Zone oder in einem Verbund einzelner Mitgliedstaaten zu zustimmen;
- ihren Widerstand gegen die Einbeziehung von Leistungsbilanzüberschüssen im Rahmen des neuen makroökonomischen Überwachungsmechanismus (symmetrisches Verfahren) aufzugeben;
- bei der Unternehmensbesteuerung auf einen Mindeststeuersatz in der EU zu bestehen, um Steuerdumping zu verhindern und für mehr Transparenz eine nach Ländern untergliederte Rechnungslegung
multinationaler Unternehmen durchzusetzen und damit die Basis für eine Einführung einer obligatorischen gemeinsamen, konsolidierten steuerlichen Bemessungsgrundlage zu schaffen
Berlin, den 26. September 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion