Europa befindet sich in einer Regierungskrise, meint der grüne Europapolitiker Manuel Sarrazin in einem Standpunkt auf EurActiv.de. Schuld daran sei vor allem das von Bundeskanzlerin Angela Merkel propagierte Politikmodell der „Unionsmethode“. Merkels Devise laute: Nationale Egoismen statt europäische Ideen.
Der Autor
Manuel Sarrazin, geboren 1982, ist europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sarrazin ist seit 2010 Vorsitzender der Europa-Union Parlamentariergruppe Deutscher Bundestag und zudem Mitglied im Präsidium der Europa Union Deutschland.
Am 22. Juni 2011 unterrichtet Bundeskanzlerin Merkel in einer Sondersitzung den Europaausschuss des Deutschen Bundestags über die anstehenden Entscheidungen des bevorstehenden EU-Gipfels. Ich werde ihr dort sagen: „Die Unionsmethode ist Mist!“
Angela Merkel war es, die eine europäische Rede am Collège d’Europe in Brügge nutze, um nationale Interessen als Leitmotiv für europäische Entscheidungen auszurufen. Unter dem wohlklingenden Namen der Unionsmethode wollte sie eine neue Regierung für Europa, eine Regierung der Staats- und Regierungschefs.
Wer jedoch alles von den Regierungen bestimmen lassen will, dem fehlen schnell die europäischen Ideen. Dies wurde nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch Anfang dieser Woche deutlich. Die Mitgliedsstaaten konnten sich wieder einmal nicht einigen auf einen gemeinsamen Weg für das kleine Griechenland. Der Rat verstrickt sich in Hahnenkämpfe der nationalen Positionen, vermeintliche Lösungen der Krise entpuppen sich fortwährend als kleinster gemeinsamer Nenner. Dadurch muss jeder erkennen: Die EU-Regierung der Unionsmethode ist gescheitert!
Viele Staatschefs und nationale Politiker finden die Unionsmethode gut. Sie sichert ihnen Macht und Aufmerksamkeit in den nationalen europapolitischen Debatten. Und dennoch ist Frau Merkel schuld an der EU-Regierungskrise: In dem historischen Moment als Merkel sich hinter die europäischen Institutionen hätte stellen müssen, hat sie diese geschwächt. Die Unionsmethode untergräbt fortwährend die Autorität der Institutionen, die wir brauchen um diese Krise zu lösen: Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission.
Es ist zum fremdschämen, dass die Bundesregierung das geschlossen agierende Europäische Parlament, die Europäische Kommission und die Mehrheit der Mitgliedstaaten vor den Kopf stößt. So geschehen in der Frage der Symmetrie bei der künftigen Makroökonomischen Überwachung, so geschehen bei einem Prüfauftrag an die Europäische Kommission in Bezug auf Eurobonds. Es ist respektlos, wenn die Bundesregierung durchdachte Vorschläge der Europäischen Kommission und laufende Verhandlungen um Gesetzesvorschläge torpediert, in dem sie überflüssige intergouvernementale Parallelstrukturen schafft, nur um in der deutschen Debatte zu punkten. So geschehen mit der Van-Rompuy-Task-Force und mit dem „Pakt fürWettbewerbsfähigkeit“ (jetzt Euro-Plus-Pakt), der die Existenz des Europäischen Semesters untergrub. Es ist unerträglich, dass gerade Deutschland permanent auf die Bremse tritt, wenn Europa versucht die Lehren aus der Krise zu ziehen. So geschehen in den Verhandlungen um eine bessere europäische Finanzmarktaufsicht.
Bei aller Kritik, die EU war nicht einfach nur erfolglos in diesem Jahr der Krise. Europa hat einige – wenn auch an vielen Stellen nicht ausreichende – Veränderungen in der Krise vorangebracht: die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, das neue Verfahren zur wirtschaftspolitischen Steuerung und Überwachung. Die Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM wurden geschaffen, das Europäische Statistikamt Eurostat hat mehr Kompetenzen bekommen und auch die Finanzmarktregulierung wurde angegangen.
Die Unionsmethode und Merkels immer wieder aufgeführter Treppenwitz der „Mir gäbet nix!“-Kanzlerin bleiben aber ein fatales Duo. Wo entschlossen und gemeinsam agiert werden müsste, wird die Krise in einer Salami-Taktik bekämpft. Wegen ihrer Politik, Frau Merkel, und nicht wegen der fehlenden Solidarität innerhalb Europas, wenden sich so viele Menschen von Europa ab! Wer das ändern möchte, der muss sich von der Unionsmethode verabschieden!