Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Stabilisierung Griechenlands hat überragende Bedeutung für den Bestand der Europäischen Union und damit auch den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland und Europa. Die aktuelle Lage in Griechenland ist das Ergebnis von jahrelangen Versäumnissen auf allen Seiten. Das betrifft Griechenland, das sich zu stark verschuldet und seine Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit vernachlässigt hat. Das betrifft Investoren und Ratingagenturen, die lange Zeit trotz schwacher Fundamentaldaten völlig unkritisch waren, um dann plötzlich extreme Urteile zu fällen. Der schnelle, sprunghafte Anstieg der Risikoprämien führt nun zu einer Zinslast, die Griechenland alleine nicht mehr in voller Höhe bedienen kann. Und das betrifft darüber hinaus auch andere europäische Staaten wie Deutschland, die Griechenland gegenüber hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut haben, ohne die Konsequenzen für die Gesamtstabilität des Euro zu bedenken.
Nach den Parlamentswahlen im Herbst 2009 lag das griechische Haushaltsdefizit bei ca. 15 Prozent des BIP und die Staatsschulden waren auf 127 Prozent des BIP gestiegen. Die internationalen Finanzmärkte drehten dem Land innerhalb weniger Wochen den Geldhahn zu. In dieser Situation war Griechenland akut von einem ungeordneten Staatsbankrott bedroht. Die Banken wären zusammen gebrochen, der Zahlungsverkehr wäre zum Erliegen gekommen, Unternehmen und staatliche Einrichtungen hätte ihre Gehälter nicht mehr zahlen, ihre Produktion nicht aufrecht erhalten und ihre Dienstleistungen nicht mehr erbringen können. Ein solcher Zusammenbruch der Wirtschaft hätte die sozial Schwachen in Griechenland am Stärksten getroffen.
Das milliardenschwere Rettungspaket der Staaten der Europäischen Union war notwendig und hat dieses Schreckensszenario bisher verhindert. Tragfähige Lösungen wurden allerdings bisher nicht geschaffen: Zu tief die Rezession, zu hoch sind Schuldenberg und Zinslast. Weiter denn je ist Griechenland damit heute davon entfernt, einen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt zur erhalten. Damit steht bereits heute fest: Das wichtigste Ziel von IWF, EZB und EU-Kommission (der sogenannten Troika), Griechenland bis 2012 wieder eine eigenständige Refinanzierung zu verschaffen, ist verfehlt.
Erforderlich ist daher eine Entschuldung. Die Belastung durch Altschulden erdrückt den griechischen Aufschwung und verhindert Investitionen in die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Verkleinerung des Schuldenberges kann Griechenland nicht auf die Beine kommen. Sollte sich der Bundesfinanzminister mit seiner Forderung nach einer Umstrukturierung nicht durchsetzen können, würden Griechenlands Staatsschulden lediglich von Privatgläubigern auf die öffentliche Hand übertragen, ohne dass das Grundproblem des Landes – seine Überschuldung – angegangen würde. Außerdem würden dann erneut die Gewinne in die Hände privater Investoren fielen, während Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Verluste haften. Auch das muss dringend verhindert werden. Wir wissen, dass ein Umstrukturierungsszenario bei der Mehrheit der Mitgliedsstaaten unpopulär sowie politisch und technisch schwer umzusetzen ist. Ein Credit Event sollte bei einer Umstrukturierung verhindert werden. Ein Austritt eines Staates aus der Währungsunion kann und darf keine Lösung sein.
Eine Destabilisierung des Euroraums und des Kapitalmarkts muss verhindert werden. Um einen möglichen Dominoeffekt wie in der Finanzkrise zu vermeiden, brauchen wir eine europäische Institution, die Banken im Krisenfall stützen kann. Alleine die Existenz einer solchen Institution als Signal für europäische Solidarität, würde Spekulanten den Raum für Geschäfte mit Horrorszenarien nehmen.
Das Programm der Troika setzt bisher einseitig auf eine drastische Haushaltskonsolidierung. Alleiniges Sparen und Kürzen wird die griechische Rezession indes nur verschärfen und den Abstieg in der Schuldenspirale beschleunigen. Zu dem erforderlichen Strategiewechsel muss deshalb auch gehören, die Grundlage für erneute wirtschaftliche Dynamik in Griechenland zu legen. Erforderlich ist ein starkes Investitionsprogramm, das die Basis für neue wirtschaftliche Dynamik legt. Beispielsweise könnten erneuerbare Energien statt hoher Ölimporte zur energetischen Wertschöpfung vor Ort beitragen – mit positiven Wirkungen für Wirtschaftskraft und Klimaschutz. Eine Reduzierung der Schuldenlast wird nicht zum Nulltarif gelingen – trotzdem ist sie die am wenigsten teure Lösung, mit der die langfristige Tragfähigkeit der griechischen Staatsfinanzen gesichert wird. Die momentan zu Marktpreisen gewichteten Schuldtitel Griechenlands mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr betragen 135,8 Mrd. Euro. Um einen Anleihetausch über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität abwickeln zu können, muss der Euro-Rettungsschirm aufgestockt werden und Deutschland neue Kreditgarantien übernehmen. Unter Berücksichtigung der bisherigen Konstruktion der EFSF, die eine Übersicherung ausgegebener Anleihen erforderlich macht, müsste Deutschland nach unserem Konzept neue Garantien in Höhe von ca. 70 Mrd. Euro aussprechen.
Ohne Stabilisierung Griechenlands droht angesichts wahrnehmbar stärker werdenden antieuropäischen Stimmungen und Strömungen von Griechenland über Deutschland bis Finnland Gefahr für die europäische Integration insgesamt. Auch deshalb braucht Griechenland einen Kurswechsel in den Rettungsmaßnahmen. Je früher dieser Kurswechsel stattfindet, desto besser und günstiger, sowohl für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, als auch für jene in Griechenland und im Rest der Eurozone. Nur eine Reduzierung der Schuldenlast kann die Handlungsfähigkeit der Politik wiederherstellen und bringt die dringend benötigte Kontrolle über die Reaktion der Märkte.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung in Ausübung seiner Rechte nach Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes auf,
- sich für eine Reduzierung der griechischen Schuldlast stark zu machen. Gläubiger griechischer Staatsanleihen sollten vor die Wahl gestellt werden, entweder ihre Forderungen freiwillig in neue Anleihen mit reduziertem Nennwert oder verminderten Kupon zu tauschen, die mit Garantien des EFSF ausgestattet sind oder eine Barabfindung nahe den gegenwärtigen Marktpreisen zu akzeptieren. Der Zinsdienst und der Schuldenstand des griechischen Staates müssen auf ein langfristig tragfähiges Niveau gesenkt werden;
- im Rahmen der derzeit laufenden Verhandlungen um die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität auf eine Erweiterung der EFSF-Instrumentarien zu drängen. Die EFSF sollte befähigt werden, in begrenztem Maße zweckgebundene Kredite zum Rückkauf von Staatsanleihen an Euro-Staaten zu vergeben. Ein Erwerb unterhalb von Marktpreisen sollte zur Verhinderung weiterer Unsicherheiten an den Finanzmärkten vertraglich ausgeschlossen werden;
- sich auf europäischer Ebene für die Schaffung eines Europäischen Bankenrettungsfonds einzusetzen. Die Ansteckungsgefahr für andere Euro-, EU- und EU-Nachbarstaaten muss verhindert und die Verbindung zwischen Bankenkrise und Krise der Staatsfinanzen gebrochen werden;
- darauf hinzuwirken, dass ein weiteres Rettungspaket private Investoren mit einbindet, um die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht mehr als nötig zu belasten. Je länger an dieser Stelle gezögert wird, desto höher werden die Kosten für die öffentliche Hand;
- sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass neben Konsolidierung und einer Reduzierung der Schuldlast auch eine wirtschaftspolitische Perspektive für Griechenland geschaffen und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit angegangen wird. Dazu bedarf es eines Investitionsprogramms, um die griechische Wirtschaft neu auszurichten. Anpassungsprogramme dürfen nicht prozyklisch wirken und müssen sozial ausgeglichen und nachhaltig
im Sinne von Investitionen in ökologische Modernisierung sein.
Berlin, den 9. Juni 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Priska Hinz (Herborn), Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, Marieluise Beck (Bremen), Birgitt Bender, Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn, Tobias Lindner, Agnes Malczak, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutscher Bundestag; Drucksache 17/6160; 17. Wahlperiode
Hier als PDF: eagreumschuldungbt-fraktion.pdf