Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Dringlichkeit einer stärkeren Koordinierung und verbesserten Überwachung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken in der Europäischen Währungsunion offenbart. Die EU muss daher entschlossen die notwendigen Lehren ziehen und eine wirksame und glaubwürdige Antwort auf die Krise geben. Viel zu lange hat sich die Bundesregierung einem schlagkräftigen Signal verweigert und mit respektlosen Alleingängen für großen Unmut bei den europäischen Partnern gesorgt. Die Erklärung von Deauville, unüberlegter Aktionismus beim Pakt für Wettbewerbsfähigkeit und die sofortige Absage an jede Form von Eurobonds haben für mehr Verwirrung als Klarheit und für mehr Spaltung als Geschlossenheit gesorgt. Der Europäische Rat am 24./25. März 2011 muss diesem Schauspiel ein Ende setzen. Die Staats- und Regierungschefs müssen das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit wieder herstellen und sich auf längst überfällige Maßnahmen einigen.
Die EU braucht eine echte europäische Wirtschaftsregierung. Nur so kann die Stabilität des Euro-Währungsgebiets nachhaltig gesichert werden. Es bedarf einer wirksamen und effizienten Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken. Die Bundesregierung feiert sich für ihren Pakt für den Euro, aber damit kommt die Bundesregierung dem Ziel einer stärkeren Koordinierung keinen Schritt näher. Wenn auch nicht alle Maßnahmen falsch sind, ist der Pakt hauptsächlich nur alter Wein in neuen Schläuchen und ein unverbindlicher und zahnloser Papiertiger, der niemanden zu tatsächlichen Reformen verpflichtet. Dazu gehören eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie verbindliche Koordinierungsverfahren im Rahmen des Europäischen Semesters und ein neues Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte. Bisher hat die Bundesregierung das Europäische Semester jedoch torpediert. Ein ambitionsloser Entwurf für das „Nationale Reformprogramm“ (NRP) und ihr Vorschlag von unnötigen Parallelstrukturen à la Wettbewerbspakt sind der Beweis. Es bedurfte der Intervention des Kommissions- und des Ratspräsidenten, um die Bundesregierung zurück in bereits existierende europäische Strukturen zu holen. Der neue Pakt für den Euro läuft nicht, wie von der Bundesregierung vorgesehen, parallel, sondern ist ins Verfahren des Europäischen Semesters eingegliedert.
Teil der Maßnahmen muss auch ein permanenter Krisenmechanismus sein, der einer starken parlamentarischen Kontrolle unterliegt und eine Gläubigerbeteiligung sicherstellt. Dieses unerlässliche Bekenntnis zur Stabilität des Euro hat die Bundesregierung viel zu lange blockiert und damit zur Zuspitzung der Schuldenkrise beigetragen. Eine Drehung um 180 Grad muss Bundeskanzlerin Merkel jetzt auch in der Frage der Eurobonds vollziehen. Eurobonds, die bis zu einer stabilitätswahrenden Grenze der Staatsverschuldung ausgegebenen werden, sind ein richtiges Instrument für den langfristigen Umgang mit Risiken für die Finanzstabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets.
Die Bundesregierung hat im Zuge der Euro-Krise die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages massiv missachtet. Sie hat mehrfach gegen Artikel 23 Absatz 2 Grundgesetz verstoßen und ist ihren Unterrichtungs- und Berichtspflichten nach dem EU-Beteiligungsgesetz (EUZBBG) nicht nachgekommen. So notwendig die beispiellos weitreichenden Beschlüsse zur Sicherung des Euro auch sind, eine parlamentarische Beteiligung gemäß Grundgesetz und EUZBBG ist für die Legitimation von Regierungshandeln unerlässlich. Die Euro-Rettung darf nicht mit einem innerstaatlichen Demokratiedefizit einhergehen. Aus diesem Grund wäre eine umfassende und frühzeitige Beteiligung des Deutschen Bundestages unerlässlich gewesen. Für die Zukunft muss klar sein: Eine Regierung darf auch in Brüssel nicht losgelöst von parlamentarischer Mitwirkung handeln.
Der Bundestag bedauert, dass die Bundesregierung sich gemeinschaftlichen Lösungen verweigert und ihren mangelnden Integrationswillen durch zwischenstaatliche Lösungen kompensiert. Dem Bundestag ist bewusst, dass aufgrund mangelnder Bereitschaft zur Kompetenzübertragung an die Europäische Union der dringend notwendige Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) nur zwischenstaatlich etabliert werden kann. Diese Intergouvernementalität ist jedoch nur ausnahmsweise zu akzeptieren und darf nicht mit einer Degradierung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission als Vertreter gesamteuropäischer Interessen sowie der nationalen Parlamente einhergehen.
Die Schuldenkrise in Europa ist keine Krise des „Euro“, sondern nur denkbar vor dem Hintergrund der anhaltenden Finanzkrise. Die hohen Schulden der Staaten, die die Frage nach der Schuldentragfähigkeit auslösen, stammen zu relevanten Teilen aus dem Finanzsektor, während gleichzeitig die Bonitätsverschlechterung der Staatspapiere die Angst der Investoren vor weiteren Verlusten im Bankensektor und einem erneuten Dominoeffekt schüren. So verschärfen sich beide Phänomene gegenseitig: Die nach wie vor in vielen Fällen ungelösten Probleme im Bankensektor, insbesondere eine mangelhafte Kapitalausstattung und die Angst der Investoren vor weiteren Verlusten, verschlimmern die Schuldenkrise der Staaten in der europäischen Peripherie. Die ungelöste Schuldenkrise der Staaten verlängert das Siechtum vieler Banken. Ganz konkret haben insbesondere die verstaatlichte Hypo Real Estate und einige Landesbanken nicht nur eine schwache Kapitalbasis, sondern auch in großem Umfang unsichere Staatspapiere. So ist auch die neuerliche Runde der Rettungsmaßnahmen wieder eine Bankenrettung. Denn wer eine Bank oder einen Staat „rettet“, hilft in Wirklichkeit deren Gläubigern. Durch das unzureichende Krisenmanagement der europäischen Staaten in beiden Fällen ergibt sich so ein Gesamtproblem, das größer ist, als wenn eine konsequente Rekapitalisierung der Banken erzwungen würde und die hoch verschuldeten Staaten über einen partiellen Schuldenerlass wieder zu einer tragfähigen Schuldenlast kämen, vor deren Hintergrund dann auch Konsolidierungsmaßnahmen ihr Ziel erreichen könnten. Das Verzögern erhöht die Kosten für die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Der Deutsche Bundestag lehnt ab, dass die irische Regierung daran gehindert wird, private Gläubiger irischer Banken an den Verlusten zu beteiligen, während gleichzeitig die Steuerzahler in Irland wie auch in allen Ländern der Euro-Zone die Verluste irischer Banken übernehmen müssen. Hier findet ohne nachvollziehbare Begründung eine Schonung der Finanzbranche statt, eine Sozialisierung der Verluste, nachdem vorher die Gewinne privater Natur waren.
Der ungebremste Steuerwettbewerb zwischen den EU-Ländern passt genauso wenig in einen Binnenmarkt wie Zölle oder Grenzkontrollen. Europa braucht daher bei der Unternehmensbesteuerung eine gemeinsame, konsolidierte steuerliche Bemessungsgrundlage.
Es liegt im Interesse der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass Griechenland und Irland die von Deutschland garantierten Schulden zurückzahlen können. Zu hohe Zinslasten dieser Staaten widersprechen daher dem deutschen Interesse.
Über die EZB tragen de facto bereits jetzt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Euro-Zone zusätzliche Schuldenlasten aus den Peripherieländern in Höhe von rund 70 Mrd. Euro. Hinzu kommt, dass die Refinanzierung der Banken aus Griechenland, Irland, aber auch Portugal und anderen hoch verschuldeten Staaten, praktisch über die Zentralbanken der Euro-Zone erfolgt. Die genaue Höhe der über die Eme
rgency Liquidity Assistance übernommenen Risiken ist nicht bekannt. Diese Politik, die auf die Blockade einer sinnvollen Bankenrettung und Staatenentschuldung durch die Bundesregierung zurückzuführen ist, gefährdet die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrer Geldpolitik und erzeugt gefährliche Interessenkonflikte. Eine längerfristige Rolle in der Sanierung der maroden europäischen Banken und der überschuldeten Staaten ist jedoch nicht die Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Notwendig bleibt vor allem eine echte Restrukturierung der unterkapitalisierten Geschäftsbanken in Deutschland. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Finanzmärkte ihr Erpressungspotential gegenüber den Mitgliedstaaten verlieren.
Die Nuklearkatastrophe in Japan zeigt in dramatischer Weise, dass die Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar ist. Die Folgen sind heute noch nicht absehbar. Es drohen noch über lange Zeit gravierende Gesundheitsschäden und die radioaktive Verseuchung einer ganzen Region.
Die Ereignisse in Fukushima müssen auch in der Energiepolitik der EU zu einer Neubewertung der Atomkraft und ihrer Rolle in der künftigen Energieversorgung führen. Die Katastrophe hat den Druck auf einen schnellen Ausstieg erhöht, wie ihn die Mehrheit der Bevölkerung auch will. Das gilt weltweit, die EU muss und kann hier vorangehen.
Wir brauchen weltweit einen neuen Entwurf in der Energiepolitik, der ein schnelles Umsteuern auf 100% Erneuerbare Energien ermöglichen kann. Die kalifornischen Universitäten Stanford und Davis haben dazu einen Plan zur vollständigen Umstellung der Weltenergieversorgung auf Erneuerbare Energien erarbeitet. Er zeigt auf, dass dies technologisch, wie industriell möglich ist und ökonomisch Vorteile hat.
Die Möglichkeiten für eine radikale Umkehr in der Energiepolitik durch die vor gut 10 Jahren eingeleitete Energiewende hin zu Erneuerbare Energien sind heute so erfolgversprechend wie nie. So zeigt der enorme Aufschwung der erneuerbaren Energien, dass der Ersatz von Atomkraftwerken energiepolitisch deutlich schneller möglich ist als dies noch vor einigen Jahren anzunehmen war. Zusätzlich können konsequente Maßnahmen für Energieeffizienz die Nachfrage nach Strom deutlich drosseln. Durch die richtige politische Flankierung kann und muss dieser Trend weiter forciert und damit Atomkraft klimafreundlich ersetzt werden. Dies bedeutet auch, dass EURATOM beendet wird.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- den Verpflichtungen aus Artikel 23 Absatz 2 Grundgesetz den gebotenen Respekt entgegen zu bringen. In Angelegenheiten der EU wirkt der Bundestag an der Willensbildung der Bundesregierung mit und muss gemäß EUZBBG umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet werden,
- auch bei intergouvernementalen Regierungshandeln in Angelegenheiten der EU, die Beteiligung des Bundestag gemäß EUZBBG sicherzustellen,
- künftig auf die Gemeinschaftsmethode als Garant für gesamteuropäische Lösungen und einer angemessenen Beteiligung aller Europäischen Institutionen zu setzen und nicht mit Hilfe von intergouvernementalem Regierungshandeln weitere Integrationsschritte zu blockieren,
- sich dafür einzusetzen, dass das Europäische Parlament bei allen Vorhaben mitentscheidet bzw. weit möglichst in alle Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene einbezogen wird.
auf dem Europäischen Rat am 24./25. März 2011,
- das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU wieder herstellen und für eine stärkere Europäische Integration zu werben.
- sich für eine gesunde Balance zwischen Solidarität und Solidität einzusetzen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik aller Mitgliedstaaten ist notwendig, weil künftige Generationen ein Recht auf gesunde öffentliche Kassen haben. Ohne Solidität der öffentlichen Finanzen gibt es keinen stabilen Euro und keine öffentliche Zustimmung für europäische Solidarität. Gleichzeitig muss deutlich werden, dass Europa eine Solidargemeinschaft ist.
- sich für einen Europäischen Stabilisierungsmechnismus einzusetzen,
- dessen Inanspruchnahme ausnahmslos im Einzelfall entschieden und an strikte Konditionalität geknüpft wird. Nur so ist der ESM mit den Europäischen Verträgen und dem Grundgesetz vereinbar,
- dessen Anpassungsprogramme für betroffene Staaten nicht pro-zyklisch wirken sowie sozial ausgeglichen und nachhaltig im Sinne von Investitionen in ökologische Modernisierung und soziale Gerechtigkeit sind,
- der ein regelgebundenes Verfahren beinhaltet, das künftig bei festgestellter Insolvenz von EU-Mitgliedstaaten eine Gläubigerbeteiligung des Privatsektors vorsieht, um die Schuldenlast des betroffenen Staates auf ein tragfähiges Niveau senken zu können,
- der eine angemessene Beteiligung des Europäischen Parlaments vorsieht und die Europäische Kommission verpflichtet, das Parlament fortlaufend über die Verhandlungen mit Finanzhilfe ersuchenden Mitgliedsstaaten hinsichtlich ihrer Anpassungsprogramme zu informieren.
- für den Fall des Beharrens auf den eingeschlagenen Weg der Krisenbewältigung anzuerkennen,
- dass die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)
- kurzfristig mehr effektives Vergabekapital braucht, um bei Liquiditätsproblemen notfalls weiteren Mitgliedstaaten effektiv helfen und sie vor Spekulationsattacken schützen zu können,
- die Staatsanleihen, deren Risiken bisher bei der Europäischen Zentralbank liegen und damit bereits von den Euro-Staaten gemeinsam getragen werden, übernehmen sollte.
- Fehler in den Vereinbarungen mit Irland und Griechenland zu korrigieren und für Konditionen zu sorgen, die zu tragfähigen Schulden für beide Länder führen, um so die Wahrscheinlichkeit eines Forderungsausfalls zu mindern. Dazu gehört:
- eine Absenkung der Zinssätze für Irland und – im Gegenzug zur Gewährung des Vorrangs gegenüber privaten Gläubiger – eine Streckung der Laufzeit der Griechenland-Hilfen.
- in Griechenland eine Umschuldung unter Beteiligung der Gläubiger. Griechenland ist dramatisch überschuldet und wird nicht in der Lage sein, den zur Stabilisierung seiner Schulden notwendigen primären Einnahmeüberschuss zu erzielen. Daraus folgt, dass Griechenland neben seinem Kurs der Haushaltskonsolidierung und niedrigerer Zinsen zur Finanzierung seiner Staatsverschuldung weitere Maßnahmen wie eine Umschuldung braucht.
- bei der Unternehmensbesteuerung ihren Widerstand gegen gemeinsame, konsolidierte steuerliche Bemessungsgrundlage aufzugeben. Mittelfristig sind europäische Mindeststeuersätze bei der Körperschaftssteuer von 25% erforderlich, damit sich der Wettbewerb um die Steuerbasis nicht noch weiter auf die Steuersätze verlagert. Irland, das gerade die Solidarität der europäischen Mitgliedstaaten erfährt, muss daher aufgefordert werden, diesen Weg zu unterstützen.
- die Position der irischen Regierung zu unterstützen, private Gläubiger irischer Banken zur Deckung von Verlusten heranzuziehen und so die Belastung aller europäischen Steuerzahler zu begrenzen.
- den Weg für Euro-Anleihen freizumachen, die
- von Euro-Staaten bis zu einer stabilitätswahrenden Grenze ihrer jeweiligen Schuldenstandsquoten begeben werden,
- den Wert der Preisstabilität aus den europäischen Verträgen strikt wahren,
- den Mitgliedsstaaten einen starken Anreiz bieten, nachhaltige Strukturreformen möglichst schnell und ökonomisch tragbar umzusetzen, um so die langfristige Tragfähigkeit ihrer Staatsfinanzen sicher zu stellen.
- das Europäische Semester als wichtiges Instrument einer starken Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitken ernstzunehmen und sich für e
ine verbindlichere Umsetzung sowie eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente einzusetzen. Der Bundestag muss vor Annahme der länderspezifischen Empfehlungen durch den Rat Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Die Leitlinien zur Umsetzung der EU 2020 Strategie müssen ambitioniert ausgestaltet sein und den Mitgliedstaaten ehrgeizige Vorgaben für ihre Stabilitäts- und Konvergenzprogramme bzw. Nationalen Reformprogramme (NRP) geben. Das bedeutet:
- Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass Solidarität und Solidität Hand in Hand gehen. Ohne gesunde nationale Haushalte verlieren sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Europäische Union ihren Handlungsspielraum und setzen die Errungenschaften der europäischen Integration aufs Spiel.
- Die bedrohlichen Ungleichgewichte innerhalb des Euro-Raums sind abzubauen. Darauf müssen Defizit- und Überschussländer verpflichtet werden. Die Defizitländer müssen ihre Probleme bei ihrer Wettbewerbsfähigkeit angehen. Überschussländer müssen diesen Anpassungsprozess u.a. durch eine Stärkung ihrer Binnennachfrage unterstützen. In diesem Zusammenhang wäre die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes durch die Bundesregierung, so wie er in der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten bereits existiert, ein erster Schritt. Ziel sollte dabei eine in der Tendenz ausgeglichene Leistungsbilanz der Länder sein.
- Investitionen in Forschung und Innovation müssen erhöhte Priorität genießen. Die Konzentration auf große gesellschaftliche Herausforderungen ist zu begrüßen, wenn die Auswahl auf die Schwerpunkte in einem transparenten, legitimierten Verfahren erfolgt. Gleichzeitig muss die bewährte Förderung der grenzübergreifenden Kooperationsforschung fortgesetzt und die Beteiligung von Universitäten und Kleinen und mittleren Unternehmen auch zukünftig gesichert werden. Die Förderung der Grundlagenforschung durch den ERC ist anteilig zu verstetigen.
- Die bereits bestehenden quantifizierten Ziele der Leitinitiative zur Verbesserung der Ressourceneffizienz und zur Reduktion der Treibhausgasemissionen müssen deutlich an die Herausforderungen in diesem Bereich angepasst werden. Die EU muss sich auf eine einseitige Reduktion der CO2 Emissionen von 30% bis 2020 im Vergleich zu 1990 verpflichten und das Energieeffizienzziel von 20% bis 2020 endlich verbindlich machen. Darüber hinaus bedarf es quantifizierter Ziele für die weiteren Herausforderungen, die richtigerweise in der Leitlinie genannt werden: Ressourcenverbrauch und Ressourceneffizienz sowie die Bekämpfung des Biodiversitätsverlusts. Im Rahmen der EU 2020 Strategie soll das Ziel, den Verlust der Biodiversität bis 2020 zu stoppen, festgeschrieben werden. Die Bundesregierung soll sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Europäische Kommission weitere konkrete Indikatoren zur Messung der Ressourceneffizienz in Anlehnung an die EU-Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet und diese dann verbindlich an die Leitlinie 5 der EU 2020 Strategie aufgenommen werden.
- Das Ziel inklusiver Arbeitsmärkte ist verstärkt zu verfolgen. Dabei muss vor allem die wachsende Kluft zwischen „regulär“ und atypisch Beschäftigten und ihre soziale Sicherheit in den Blick genommen werden. Die Qualität von Arbeit muss verbessert und die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern europaweit wirksam gestärkt werden. Überall in der EU hat ein gleichwertiger Standard beim Arbeitsschutz zu gelten. Notwendig sind außerdem verbindliche und allgemeingültige Mindestarbeitsbedingungen. Das Prinzip „gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ist nachhaltig zu stärken. Der Abbau der Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen muss eine zentrale Zielvorgabe werden. Die Flexibilität auf den europäischen Arbeitsmärkten muss in hohem Maß mit sozialer Sicherheit und einem funktionierenden Sozialdialog verbunden sein.
- Der Zugang zu Bildung muss erleichtert werden. Dazu muss vor allem der Zugang zu früher Bildung erleichtert und die soziale Auswahl beim Zugang zu höherer Bildung gezielt verringert werden. Dabei darf die Bundesregierung sich nicht mit dem Erreichen der EU-Benchmarks als Durchschnittswerten zufrieden geben. Die Zahl der Schulabbrüche ist regional höchst unterschiedlich. Sie muss nicht nur im Landes- oder Bundesdurchschnitt deutlich gesenkt werden, sondern auch in wirtschaftlich schwachen Regionen und in Regionen mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Risikogruppen wie Bildungsfernen mit und ohne Migrationshintergrund sowie Ein-Eltern-Familien. Dazu reichen die Maßnahmen bei weitem nicht aus, die als Bildungs- und Teilhabepaket im Rahmen der SGB-Reform verabschiedet wurden. Bund und Länder müssen die Hochschule so ausstatten, dass die Studienbedingungen nachhaltig verbessert werden. Nur so können Studienanfängerquoten von 46 % wie im Jahr 2010 auch zu Absolventenquoten deutlich oberhalb der 29,2% von 2009 führen. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den Ländern den Zugang beruflich Qualifizierter an die Hochschulen unterstützen, damit Deutschland seine im europäischen Vergleich bestürzend geringe Quote von beruflich Qualifizierten an den Hochschulen endlich nachhaltig steigern kann.
- An dem Kernziel der EU im Bereich der Förderung der sozialen Eingliederung, welches darin besteht , die Armut in der EU bis 2020 um mindestens 20 Millionen Menschen zu reduzieren, muss festgehalten werden. Um dies zu erreichen müssen die Mitgliedstaaten und insbesondere Deutschland sich selbst ein nationales Armutsziel setzen, das diesem quantitativen Ziel entspricht. Die Bundesregierung unterliegt einem eindimensionales Armutsverständnis, wenn sie Armut vornehmlich anhand von Langzeitarbeitslosigkeit misst. So wird sich die Bundesregierung eigenen Angaben zu Folge nur zum Ziel setzen, die Anzahl der langzeitarbeitslosen Personen bis 2020 um 20 Prozent, und damit inklusive mit Langzeitarbeitslosen zusammen lebenden Haushaltsmitgliedern um 660.000 zu reduzieren. Dieses Ziel entspricht weder quantitativ noch qualitativ dem Ziel auf EU-Ebene. Notwendig zur Reduktion von Armut und Ausgrenzung ist ein mehrdimensionaler Ansatz, wie ihn die EU einfordert. Dazu gehören neben der Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit sowohl die Verringerung der relativen Einkommensarmut als auch der materiellen Benachteiligung in verschiedenen Lebensbereichen. Gemessen an der Größe des Landes und der Betroffenheit von Armut müsste sich die Bundesregierung das Ziel setzen, die Armut in Deutschland in diesem Zeitraum um 2,8 Millionen Personen zu reduzieren, um seinen Beitrag zur Erfüllung des EU-Armutsziels zu leisten. Andernfalls werden andere Mitgliedstaaten, und zwar welche, die deutlich stärker von der Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen wurden, durch den mangelhaften Beitrag Deutschlands geradezu dazu herausgefordert, ihre nationalen Ziele auch entsprechend zu reduzieren. Eine Erreichung des Zieles die Armut in der EU bis 2020 um 20 Millionen zu reduzieren, wird durch die Bundesregierung gefährdet oder sogar unmöglich gemacht.
- Indikatoren für die Lebensqualität und die Angemessenheit von Altersrenten weisen in den letzten Jahren eine recht negative Entwicklung auf. Es fällt auf, dass sich der in den 1990er Jahren verzeichnete Rückgang der Armutsgefährdung von Menschen über 65 Jahren in EU-15 in den ersten sieben Jahren dieses Jahrhunderts umgekehrt hat. Deswegen muss die EU nicht nur auf eine stabile und sichere Finanzierung der Rentenversicherungen in den Mitgliedsländern hinwirken, sondern immer stärker auch auf eine bessere Angemessenheit der Renten und eine Reduzierung der Armut der Älteren.
- Der Aktionsplan Verbraucherschutz 2007-2013 muss im Hinblick auf Folgemaßnahmen ausgewertet werden. Schwerpunkte sind dabei Verbesserung der Markttransparenz, effiziente kollektive Rechtsdurchsetzung, umfassende Verbraucherinformation und die Ausrichtung auf nachhaltige Konsummuster.
- sich auf Grundlage der Verordnungsvorschl
äge der EU-Kommission für ein wirksames und verbindliches Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte stark zu machen. Dies beinhaltet vor allem:
- einen symmetrischen Ansatz bei der Bekämpfung von Ungleichgewichten. Entsprechende Maßnahmen müssen sowohl in Mitgliedstaaten mit fortbestehenden Leistungsbilanzdefiziten als auch in Mitgliedstaaten mit hohen Leitungsbilanzüberschüssen getroffen werden. Art, Umfang und Dringlichkeit der Maßnahmen sind für jedes Land einzeln zu bewerten,
- eine Risikobewertung anhand von Indikatoren zur außenwirtschaftlichen Stabilität, (insbesondere Leistungsbilanzdefizite und -überschüsse), zur Entwicklung der realen effektiven Wechselkurse sowie zu Abweichungen der länderspezifischen Inflationsraten von der Zielinflationsrate der EZB und zur frühzeitigen Erkennung von Vermögenspreisblasen. Zudem müssen Einkommensungleichheiten und hohe ökologische Standards wie Ressourcenproduktivität berücksichtigt werden. Die Indikatoren sind zwischen Mitgliedstaaten und Europäischem Parlament zu vereinbaren. Zudem kann die Kommission befugt werden, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 290 AEUV zu erlassen,
- eine Bewertung der Verschuldungsrisiken, in die alle maßgeblichen Sektoren (private Haushalte, Finanzinstitutionen, Unternehmen und Staat) einbezogen werden,
- einen verbindlichen Korrekturmaßnahmenplan für Mitgliedstaaten mit übermäßigem Ungleichgewicht,
- eine größtmögliche Öffentlichkeit, Transparenz und Mitwirkung sowohl des Europäischen Parlaments als auch der nationalen Parlamente.
- sich auf Grundlage der Verordnungsvorschläge der EU-Kommission zur Reform des Stabilitäts- und Wachtsumspakts (SWP) für eine verbindlichere präventive Komponente und eine stärkere Berücksichtigung des Schuldenstandskriteriums (60 %) einzusetzen. Das bedeutet:
- die präventive Komponente des SWP sollte durch einen Grundsatz der vorsichtigen Haushaltspolitik operationalisiert werden,
- im Fall einer übermäßigen Gesamtverschuldung muss für jedes Mitgliedsland ein ökonomisch verträglicher Abbaupfad verbindlich vereinbart werden,
- der Abbaupfad lässt sich am Besten durch ein nachhaltiges Wachstum bei Durchsetzung des Grundsatzes der vorsichtigen Haushaltspolitik realisieren. Wachstumsbedingte Steuermehreinnahmen müssen in erster Linie zur Haushaltskonsolidierung eingesetzt werden,
- bei Durchsetzung des Grundsatzes der vorsichtigen Haushaltspolitik und des Abbaupfads ist darauf zu achten, dass Investitionen in ökologische Modernisierung sowie soziale Gerechtigkeit weiterhin möglich sind,
- ein Punktesystem (Bonus/Malus), welches eine zwischenzeitliche Übererfüllung gesetzlicher Vorgaben mit der Möglichkeit belohnt, in Zeiten geringeren Wachstums hinter diesen zurück zu bleiben.
- sich auf Grundlage der Verordnungsvorschläge der EU-Kommission über Durchsetzungsinstrumente zur Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und zur Einhaltung sowohl der präventiven als auch der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts dafür einzusetzen, dass Sanktionen
- sich möglichst weitgehend politischer Einflussnahme entziehen (“Prinzip der umgekehrten Abstimmung”),
- weder den sozialen Zusammenhalt gefährden noch pro-zyklisch wirken und bei der konkreten Ausgestaltung neben der KOM-Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen und dem Wirtschafts- und Finanzausschuss des Rates auch die KOM-Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration sowie der Ausschuss für Sozialschutz des Rates einbezogen werden.
Berlin, den 22. März 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Fritz Kuhn, Dr. Gerhard Schick, Alexander Bonde, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Winfried Hermann, Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Omid Nouripour, Dr. Hermann Ott, Brigitte Pothmer, Claudia Roth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE Grünen
zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 24./25. März 2011 in Brüssel