Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir Grüne stimmen dem vorgelegten Antrag über die Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV zu. Wir befürworten die Einführung einer Rechtsgrundlage für einen permanenten Notfallschirm für den Euro. Dass mit dieser Änderung nicht die Union, sondern die Staaten ermächtigt werden, halten wir nicht für die beste Lösung. Wir Grüne hätten uns eine europäische Lösung gewünscht, vor allem weil wir damit die maßgebliche Kontrolle des Europäischen Parlaments über diese Institution ermöglicht hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber weil sich die Regierungen – leider auch diese Bundesregierung – von Anfang an geweigert haben, der EU mehr Kompetenzen zu geben, ist die vorliegende Änderung der Weg, den wir gehen müssen. Auch wir gehen ihn mit. Es ist nicht der beste Weg, aber in dieser Situation der bestmögliche.
Damit Ihnen das ganz klar ist: Wir billigen damit nicht Ihren Weg einer Renationalisierung europäischer Entscheidungen, wir billigen damit nicht Ihre neue Liebe für die Unionsmethode, und wir werden diese Methode in Zukunft sogar verstärkt bekämpfen, weil sie nicht der Weg ist, der Europa voranbringt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind für die Einführung eines europäischen Stabilitätsmechanismus. Warum? Schauen Sie sich einmal das vergangene Jahr an. Niemandem von Ihnen ist vorzuwerfen, wenn er dazulernt. Aber wenn man das Gerede der Koalition der letzten Monate mit dem vergleicht, was Sie heute hier beschließen, dann muss ich sagen, dass ich es schon dreist finde, dass Sie nicht einmal den Mut haben, hier zu bekennen: Wir haben dazugelernt, weil wir dazulernen mussten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)
Ich erinnere an das nationale Geschrei gegen Griechenland, das Ausschließen eines permanenten Schirms und vieles mehr. Herzliche Glückwünsche, Kollegen, Sie sind zurück in der Realität. Aber auch: Willkommen zurück in Europa.
(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Haben Sie nicht auch dazugelernt, Herr Sarrazin?)
– Ich gebe zu: Ich habe viel im letzten Jahr dazugelernt. Ich möchte einmal von Ihnen hören, dass das, was Sie heute beschließen, zum Glück nichts mehr mit dem zu tun hat, was vor einem Jahr von den Kollegen der FDP-Fraktion und von Herrn Schlarmann erzählt wurde. Geben Sie das doch einfach zu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber seien wir ganz ehrlich: Könnten wir uns eigentlich vorstellen, dass ein Scheitern des Euro sinnvoll sein könnte? Könnten wir, Grüne und SPD, uns vorstellen, dass der Bundestag die Rolle der Bundesregierung aus dem Frühjahr 2010 wiederholt? Nein. Ihr ewiges Zögern war teuer genug für Deutschland und Europa. Deswegen werden wir diese Rolle von Ihnen hier nicht wiederholen.
(Mechthild Dyckmans [FDP]: Hören Sie doch auf, zu schreien!)
Ihre Politik hat genug Porzellan zerschlagen. Oftmals reden Sie von deutschen Interessen, aber Sie wahren dabei nicht einmal deutsche Interessen. Nehmen wir das Beispiel, das gerade genannt wurde, nämlich dass die EZB inzwischen ein massives Interesse daran hat, Staaten aufrechtzuerhalten, damit sie nicht zusammenbricht, weil sie einen hohen Anteil von Anleihen aufgekauft hat. Nehmen wir die Frage der Gläubigerbeteiligung, die Herr Schick gerade dargestellt hat. Auch in diesen Punkten vertreten Sie weiterhin ideologische Positionen, die Lösungen verhindern. Das kann man Ihnen immer noch vorwerfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wir haben die Ideologie der Unabhängigkeit der EZB! Das ist wohl wahr!)
Wir haben darüber hinaus in den letzten Monaten bemerkt, wie Sie den Deutschen Bundestag behandelt haben. Der Bundestag – das ist dokumentiert – wurde wiederholt gesetzeswidrig seiner Informationsrechte beraubt. Die Bundesregierung muss aufhören, sich nicht an das EUZBBG zu halten und es sogar noch offenkundig durch die Konstruktion einer Lex specialis – § 5 Abs. 4 EUZBBG – falsch zu interpretieren. Wir sagen: Verbessern Sie das, ansonsten werden wir Probleme haben, künftig noch die wichtigen europäischen Entscheidungen so verfassungsfest durch dieses Haus zu bringen, dass auch Karlsruhe sie akzeptieren kann.
(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Sie haben doch bis jetzt auch nicht zugestimmt!)
– Was wollten Sie? Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
(Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Jetzt kommt sie, wunderbar. – Können Sie, Herr Präsident, die Zwischenfrage bitte während der nächsten 25 Sekunden aufrufen?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Bestellen von Zwischenfragen sieht die Geschäftsordnung eigentlich nicht vor. Aber bei meiner sprichwörtlichen Liberalität wollen wir das einmal ausprobieren.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich habe der Geschäftsordnung entnommen, dass man auch Zwischenbemerkungen machen darf. Darauf haben Sie ja hingewiesen.
Herr Kollege Sarrazin, wie kommen Sie eigentlich dazu, uns so schulmeisterlich zu belehren? Schließlich haben Sie noch nicht einmal dem bisherigen Rettungsschirm zugestimmt. Wie kommen Sie angesichts Ihrer bisherigen Verweigerung dazu, uns in Aussicht zu stellen, an praktischer Europapolitik mitzuwirken? Geben Sie dafür doch einmal eine Erklärung ab.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünn!)
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Wadephul, unsere Fraktion hat dem Euro-Rettungsschirm damals nicht zustimmen können,
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)
weil eine Mehrheit kritisierte, dass kein Rahmenvertrag vorliege und damit die Handlungsgrundlage nicht klar sei. Aus meiner persönlichen Sicht war das damals nicht ganz richtig. Als uns aber der Rahmenvertrag vorgelegt wurde, hatte sich die historische Situation insofern weiterentwickelt, als, um das Triple-A-Rating zu erhalten, dem Direktorium der EFSF weitgehende Kompetenzen zugebilligt werden mussten – aus meiner Sicht zu Recht –, wofür aus meiner Sicht eine Ratifizierung gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz durch den Deutschen Bundestag notwendig gewesen wäre.
Um unsere grundsätzliche Zustimmung zur EFSF und um auch unsere grundsätzliche Zustimmung zu diesen weitgehenden Kompetenzen zu dokumentieren sowie um auf das Versagen der Bundesregierung, die Ratifikation durch den Bundestag einzuholen, hinzuweisen, haben wir kurz vor der Sommerpause im letzten Jahr den EFSF Rahmenvertrag als Entwurf eines Zustimmungsgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Das heißt, wir haben den Deutschen Bundestag gebeten, den Vertrag zur Schaffung des Fonds „Europäische Finanz-Stabilitäts-Fazilität“ mit Sitz in Luxemburg zu ratifizieren, und Sie haben das abgelehnt. Werfen S
ie uns nicht vor, wir hätten uns nicht getraut, uns hinzustellen und zu sagen: Wir stehen zum Rettungsschirm. – Aufgrund Ihrer Schluderei hatten wir zunächst formale Gründe für unsere Ablehnung. Wir haben noch versucht, Ihnen eine goldene Brücke zu bauen, und Sie haben die Möglichkeit ausgeschlagen, darüberzugehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Schluss. Ein Bundeskanzler sagte einmal:
Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.
Das sagte Konrad Adenauer 1963. Wenn Sie, verehrte Damen und Herren von der Koalition, im Jahre 2011 wieder einen europapolitischen Kurs beschreiten wollen, der Deutschland gerecht wird, dann folgen Sie den Anträgen von SPD und Grünen.
Danke sehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/ CSU]: Da ist ja St. Pauli noch erfreulicher!)